Ich will dich
erinnerte sie ihn sanft.
Er bewegte die verspannten Schultern. „Mein Leben verlief völlig anders als deins, falls es das ist, worüber du dich wunderst.”
„Erzähl mir davon”, forderte sie ihn auf. „Bitte. Ich möchte dich besser verstehen.”
Clayton seufzte. „Meine Eltern starben bei einem Autounfall, als ich noch ein Baby war. Ich erinnere mich nicht an sie. Ich besitze noch nicht einmal ein Foto von ihnen.”
Aus seiner Stimme war deutlich der Schmerz zu hören und wie schwer es ihm fiel, darüber zu sprechen.
„Deine Großeltern haben dich dann bei sich aufgenommen, nicht wahr?”
„Für eine Weile. Doch sie waren alt und krank und kaum noch in der Lage, für sich selbst zu sorgen, geschweige denn, für ein Kleinkind. Als ich ungefähr drei war, schickten sie mich zu meinem Onkel Frank. Dort blieb ich, bis ich fünf war.”
Rena merkte, dass Clayton mit aller Macht versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
„Das tut mir so Leid”, sagte sie und drückte ihn an sich.
Aber Clayton wollte ihr Mitleid nicht und entwand sich ihrem Arm. Er trat an den Zaun, stützte die Arme darauf und senkte den Kopf auf die Brust. Er wollte sich nicht erinnern.
Doch die schmerzlichen Geschehnisse seiner Kindheit standen ihm so deutlich vor Augen, als wären sie erst gestern passiert.
Dann fühlte er erneut Renas Hand auf seinem Rücken, und er wusste, Rena würde ihm keine Ruhe lassen, bis er ihr nicht alles erzählt hatte.
„Mein Onkel Frank brachte mich zur Busstation, weil ich zu meiner Tante Margaret fahren sollte, und kaufte mir eine Fahrkarte. Dann ließ er mich am Bordstein stehen. Alles, was ich besaß, befand sich in einer Plastiktüte, die er neben mich auf den Boden gestellt hatte. Ich weiß noch, wie ich ihm nachgesehen habe. Fast kann ich noch die entsetzliche Angst fühlen, die ich hatte, als er mich allein ließ. Ich verstand nicht, was wirklich vor sich ging oder wohin ich fahren sollte. Dazu war ich wohl noch zu klein. Ich wusste lediglich, dass mein Onkel wegging und ich ganz allein sein würde.”
Er strich sich mit der Hand durchs Haar. „Ich schrie ihm nach, er solle warten. Doch er ging einfach weiter und blickte sich nicht einmal zu mir um. Ich fing an zu laufen, stolperte und stürzte ein paar Mal. Dann kämpfte ich mich wieder hoch und rannte weiter. Bei seinem Auto holte ich ihn ein, griff nach seiner Hand und klammerte mich daran fest. Ich weinte und bettelte, er solle mich nicht fortschicken.”
Clayton schluckte. „Er stieß mich so heftig von sich weg, dass-ich gut zwei Meter nach hinten taumelte und auf dem Hosenboden landete. Ich weiß noch, wie ich zu ihm aufsah und diesen Mistkerl anflehte, er solle mich wieder mit nach Hause nehmen und dass ich ihn doch lieben würde und dass ich auch ein guter Junge sein wolle.”
Erneut brauchte Clayton einen Moment, bevor er fortfuhr:
„Er packte mich am Arm und zerrte mich hoch. Er schüttelte mich, bis meine Zähne klapperten, schubste mich wieder in Richtung Bushaltestelle und erklärte dabei, er sei nicht länger für mich verantwortlich.”
„Oh, Clayton”, sagte Rena. „Ich kann nicht glauben, dass jemand zu einem Kind so grausam sein kann.”
Clayton stieß ein bitteres Lachen aus. „Ich war schon daran gewöhnt. Ich kannte es gar nicht anders.” Er betrachtete den Sternenhimmel und erzählte weiter. „Mein Onkel hatte einen Sohn. Bobby war ungefähr ein Jahr älter als ich. Mein Onkel liebte Football. Er saß in seinem riesigen Sessel, trank Bier und sah stundenlang fern. Manchmal kletterte Bobby auf seinen Schoß, und mein Onkel legte einen Arm um ihn, drückte ihn an seine Brust, und sie schauten sich das Spiel zusammen an. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kommt es mir lächerlich vor, weil mein Onkel mich so schlecht behandelt hat, aber ich habe mir damals immer gewünscht, auch dort auf seinem Schoß zu sitzen.
Ein oder zwei Mal habe ich es sogar versucht. Doch jedes Mal wurde ich windelweich geprügelt.”
„Clayton!” rief Rena entsetzt. „Ich hatte ja keine Ahnung!”
„Warum solltest du auch? Ich habe nie jemandem davon erzählt, nicht einmal Pete oder Troy.” Er blickte kurz zu ihr.
„Aber du wolltest wissen, weshalb ich den Kindern nicht sagen kann, dass ich sie liebe. Nun, da hast du deine Antwort. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, und habe Angst, dass, wenn ich es versuche, der Schuss nach hinten losgeht, genau wie bei meinem Onkel Frank.”
Rena legte eine Hand auf seine
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