Ich will doch nur küssen
verschwunden und auf dem Weg ins Krankenhaus.
Jetzt drehte sich Ethan endlich zu Dare und Tess um. »Möchte mir vielleicht jemand erzählen, was passiert ist?«
Tess begann erneut zu weinen.
Dare legte ihr einen Arm um die Schulter. »Du musst es ihm erklären«, sagte er fest, aber mit gütigem Tonfall, und Ethan war stolz auf den Mann, zu dem sich sein Bruder entwickelt hatte.
Tess wischte sich die Augen mit der Jacke trocken. Die Sonne brannte herunter. Ethan hatte keine Ahnung, wie sie bei dieser Hitze ein so dickes, schweres Kleidungsstück tragen konnte.
»Fang am besten ganz am Anfang an«, riet Dare ihr, als sie weiter schwieg.
»Ich habe dein Gespräch mit Faith vorgestern Abend in der Küche gehört. Über Birchwood, und dass sie nicht bei dir bleiben wollte, weil ich sonst womöglich an der Schule Probleme bekommen würde. Ich kann doch nicht zulassen, dass ihr zwei euch meinetwegen trennt! Ich brauche diesen dämlichen Zeichenkurs nicht, und diese Schule genauso wenig, vor allem, wenn du dafür zahlen musst, dass ich dort aufgenommen werde. Ich wollte euer Leben nicht auch noch zerstören, nachdem ich schon das Leben meiner Schwester und meiner Mom ruiniert habe.« Sie schniefte, und immer noch liefen ihr die Tränen über die Wangen.
»Also, wenn überhaupt, dann hat deine Mom dein Leben ruiniert, und nicht umgekehrt«, erinnerte Ethan sie. »Aber erzähl weiter.« Denn er wusste, dass das noch lange nicht alles gewesen sein konnte.
Tess zuckte die Achseln und ließ die Schultern hängen. »Ich habe gehört, wie du gesagt hast, ich müsste mir eine neue Frisur zulegen und mein Piercing herausnehmen, damit ich an dieser dämlichen Schule aufgenommen werde. Also dachte ich, wenn ich wieder so werde wie früher, dann wollen sie mich dort nicht, und du kannst wieder mit Faith zusammen sein.«
Ethan blinzelte, verblüfft über diesen Einblick in die Logik einer Vierzehnjährigen. »Deshalb also die Klamotten und die unflätigen Ausdrücke.«
Sie nickte mit ernster Miene.
»Und was ist heute passiert?«, wollte er wissen. Er wollte zwar möglichst rasch zu Faith ins Krankenhaus, aber er wusste, dass es sinnlos war, Tess zu hetzen.
Sie stierte auf den Boden und murmelte etwas, das er nicht verstand.
»Was hast du gesagt?«
Sie wiederholte das Gesagte noch einmal genauso leise.
Ethan ballte die Fäuste. »Ich verstehe kein Wort, Tess.«
»Ich sagte, ich habe meine Tage bekommen!«, schrie sie und lief unter dem verschmierten Make-up prompt knallrot an.
Er schielte über ihren Kopf hinweg zu Dare, weil er nicht wusste, wie er diese Angelegenheit handhaben sollte. Sein jüngerer Bruder grinste nur, und so kam es, dass sie zum ersten Mal seit über zehn Jahren gemeinsam herzlich über etwas lachten.
Doch dann zwang er sich, mit seiner Aufmerksamkeit wieder zu Tess zurückzukehren. »Deshalb wolltest du also in die Apotheke?«
Sie ließ den Kopf hängen. »Aber ich hatte kein Geld.«
»Warum hast du mich nicht um Geld gebeten?« Ethan hätte sich ohrfeigen können. Warum hatte er nicht daran gedacht, ihr etwas Taschengeld zu geben?
Sie schluckte schwer. »Erstens wollte ich mit dir nicht reden, und zweitens war es mir peinlich.« Das war es ihr immer noch. Sie trat in ihren schweren Stiefeln verlegen von einem Bein auf das andere.
»Und … ?«
»Ich hab mir die Packung da geschnappt und bin losgerannt!« Sie zeigte auf eine Schachtel Tampons auf dem Bürgersteig.
Ethan hatte es vor Überraschung die Sprache verschlagen, doch Tess fuhr fort. »Faith war auch in der Apotheke. Sie hat mich beobachtet und ist mir nach draußen gefolgt. Sie hat nach mir gerufen, aber ich bin nicht stehen geblieben. Ich bin einfach auf die Straße gerannt, ohne auf den Verkehr zu achten. Faith hat aber gesehen, dass ein Auto kam, und mich aus dem Weg gestoßen.« Ihre Stimme überschlug sich, die Tränen begannen erneut in Strömen zu fließen, ihre Nase lief und ihr Make-up ebenfalls.
»Ich wollte nicht, dass sie verletzt wird. Ich wollte nicht, dass irgendjemand verletzt wird.« Tess sah mit großen, weit aufgerissenen Augen zu Ethan hoch.
»Das weiß ich doch.« Ihre schmalen Schultern zuckten, und Ethan nahm sie in die Arme.
»Ja, wirklich? Glaubst du mir? Verzeihst du mir?«
»Ja, das tue ich.« Er schob sie von sich und hielt sie an den Unterarmen fest. »Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht noch ausgiebig über das Thema Diebstahl unterhalten werden«, sagte er, um einen möglichst strengen
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