Ich will doch nur normal sein!
ich das mit dem restlichen Geld. Ich durfte mich aber nicht danach bücken, nicht nach einer einzigen Mark. Er hätte mich auf dem Heimweg grün und blau geprügelt, weil ich ihn damit blamiert hätte. Es hätte ihm also nicht wehgetan, wenn er mir l oder 2 Mark Taschengeld für die Woche gegeben hätte – hat er nicht. Ich brauche kein Geld, ich bekomme alles, muss es nur sagen und dann wird es besorgt. Mal selber etwas kaufen gehen, ins Kino, in die Disco – das gab es nicht, also brauchte ich ja auch kein Geld für so was. Ich durfte ja nicht einmal zu einer Klassenkameradin zum Geburtstag, also brauchte ich auch kein Geld für ein kleines Geburtstagsgeschenk.
Ich war ja schlecht, Mutti hat ihm sicher erzählt, warum sie mich nicht mehr will und warum er mich nehmen soll. Also, musste man auf mich besonders aufpassen, streng sein, mich nicht aus den Augen lassen und mein Vater musste sehen, dass er es schafft, aus mir noch ein anständiges Mädchen zu machen.
Na ja, ich wollte eigentlich sagen, dass ich kein Geld hatte und nirgends wohin durfte, um ein Geschenk zu besorgen. Meiner Mutti wollte ich aber so gerne etwas schenken, sie hat ja auch vor Weihnachten noch Geburtstag. Ich wollte unbedingt, dass sie wieder an mich denkt.
Meine Stiefmutter arbeitete damals in einer Tuchfabrik als Weberin und hatte zu Hause einen großen 3-türigen Kleiderschrank, der war nur mit Stoffen voll, die sie von Arbeit mitgebracht hatte. Ein Stück Stoff, es reichte wirklich gerade für einen Rock für Mutti und ich wusste ja, sie kann nähen, nahm ich aus dem Schrank. Es war wirklich nur dieses eine kleine Stück Stoff und ich dachte, bei so viel Stoff, merkt das sowieso nie jemand, wenn so ein kleines Stück fehlt. Ich nahm es also und schickte es heimlich meiner Mutti.
Ja, ich weiß – es war nicht richtig – es war geklaut, ich hätte das nicht tun dürfen. Aber ich habe meine Mutti so lieb und wollte ihr eine Freude machen und wollte auch, dass sie wieder an mich denkt.
Als ich den Stoff schickte, bettelte ich auch darum, dass ich wieder nach Hause darf, weil ich so Heimweh habe. Es kam ein Brief, der erste seit dem Sommer, es stand nichts drin, von wieder heimkommen dürfen aber sie hat sich für den Stoff bedankt. Als meine Stiefmutter mir den Brief gab, wusste ich, sie weiß es, was ich getan habe, denn der Brief war geöffnet und sie war richtig böse.
ICH WAR EINE DIEBIN!
Ab sofort wurde ich behandelt, wie ein Schwerverbrecher. Alles wurde vor mir verschlossen, ich flog aus dem Haus raus und musste hinten im Garten im Gartenhäuschen wohnen. Nur zum Essen und natürlich weiterhin zum Putzen durfte ich unten ins Haus. Das Gartenhaus war nicht winterfest, eisig kalt war es und ich habe mich am Tag in die Bettdecke einwickeln müssen, wenn ich Hausaufgaben gemacht habe. Gut, es war ein Ofen da, aber sie meckerten, wenn ich mir Kohlen holte und dann kam ein Tor an den Schuppen mit Schloss und ich konnte nur noch Kohlen holen, wenn sie es wollten, bekam also die Kohlen zugeteilt. Sie reichten nie für den ganzen Tag und ich habe gefroren und war allein. Es wusste doch keiner, dass ich hier drin wohnen und frieren muss und ich war doch selber Schuld – hätte ich das Stück Stoff nicht genommen, könnte es mir im Warmen doch gut gehen.
Morgens, wenn ich munter wurde, war meine Zudecke von meinem Atem gefroren. Es gab kein warmes Wasser und ich musste mich früh mit eiskaltem Wasser waschen. Frühstücken oder was Warmes zu Trinken hatte ich auch nicht, denn ich konnte unten nicht ins Haus rein, weil die noch geschlafen haben. Da musste ich eben so in die Schule.
Ich war immer froh, wenn ich dann dort war, denn die Schule war warm und es gab auch Tee und warmes Mittagessen in der Schule. Immer bekam ich gesagt, ich habe es nicht anders verdient. Ich bin der letzte Dreck. Ja – das war das Ergebnis meines ersten Klauens. Mutti durfte ich nicht mehr schreiben und ich habe mich ja auch geschämt, weil ich so einen Mist gebaut habe. Also war ich allein und musste alles allein aushalten. Schweigen, so tun als sei alles bestens in Ordnung und in der Schule so sein, wie die Anderen. Hat auch keiner was gemerkt.
Nach einiger Zeit hatte ich mich in dem Gartenhäuschen eingelebt und es war gar nicht mehr so schlimm. Ich habe nicht mehr so viel geweint. Meine Mutti war weg für mich und es gab auch kein Heimweh mehr. Mutti wollte mich ja nicht mehr haben. Ich habe nicht mehr gehofft, dass sie mir hilft – mich einfach
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