Ich will doch nur normal sein!
wird es wohl hier auch so, wie in Leipzig alltäglich werden. Es ist nichts passiert, es ist nur einer mehr dazu gekommen, der das mit mir tut und mich dafür schuldig spricht. Es war kein besonderer Samstag, es war also ein Samstag, wie viele früher – nichts Besonderes, nichts Aufregendes.
Als meine Stiefmutter heimkam, war auch alles in Ordnung, es war so, als wäre mir nichts passiert. Sie merkte nichts- ich sagte nichts – schwieg, wie ich immer geschwiegen habe und schämte mich deswegen, wie ich mich immer geschämt habe. Irgendwann in dieser Zeit, als auch mein Vater noch damit anfing, nahm ich alle Tabletten, die ich im Haus finden konnte – welche Sorten es waren, weiß ich nicht, war mir auch egal. Ich kannte mich eh nicht damit aus. Ich schluckte sie und trank Wasser dazu und wollte einfach verschwinden. Einfach weg sein, es sollte endlich vorbei sein. Leider nicht, es war nicht vorbei. Ich musste kotzen, kotzen, kotzen und mir war hundeübel. Alles war wieder raus und ich lebte immer noch.
Keiner hat etwas mitbekommen. Am nächsten Tag sagte ich, ich hätte mir den Magen verdorben und blieb einfach im Bett liegen und schlief und schlief, dann war wieder alles wie immer. Ich ging in die Schule, war so, wie ich immer war, spielte meine Rolle und hoffte, keiner sieht mir etwas an. Was ist denn auch schon passiert? Nichts Besonderes. Für mich war es doch selbstverständlich, dass Irgendjemand irgendwann, wenn es ihm gerade danach war, kam und sein Ding in mich rein steckte. So war es doch, bis ich von Leipzig weggeschickt wurde, also warum sollte es jetzt anders sein? Es lag immer an mir, dass sie es tun mussten. So sagten sie es mir jedenfalls, oder brachten mich mit Angst und Drohungen zum Schweigen und ich schwieg. Deswegen glaubte ich, es lag an mir und fühlte mich schlecht und schuldig, schämte mich, war traurig und war allein mit mir. Ich konnte doch mit niemandem darüber reden. Deswegen war ich allein und alles in mir vergraben. Und es kam fast jeden Tag etwas Neues dazu, in dieses Innere Grab. Zu den Sachen über die ich nicht sprechen kann und darf.
Das war das erste Mal mit meinem Vater und es wurde zur Selbstverständlichkeit, so wie früher auch bei den Anderen. Wenn meine Stiefmutter bei ihrer Mutter schlief, dann ging er nicht mehr in die Kneipe wie sonst, da hatte er wohl keine Zeit, er hatte was Besseres vor – ich war dran. Im Wochenendhaus war es ihm wahrscheinlich dann zu kalt und ich bekam die „Ehre“ und musste jedes Wochenende die Nacht vom Freitag zum Samstag unten im Bett meiner Stiefmutter schlafen. Er fing dann auch an zu meckern, ich läge steif wie ein Brett da und es mache so keinen Spaß (Ich wollte keinen Spaß, ich wollte das gar nicht). Er sagte mir, was er will, wie er es will und das ich zu lächeln hatte, da es mir ja gefalle. Also änderte ich mein Verhalten gemäß den Wünschen meines Vaters und er hatte Spaß und war zufrieden mit sich und seiner Tochter.
Ich schämte mich dafür und hatte immer Angst, es könnte mir jemand ansehen, was los ist, wie schlecht ich doch in Wirklichkeit bin. In der Schule habe ich immer aufgepasst, dass ich lache, wenn die Anderen lachen und mich auch so verhalte, wie die Anderen. Das war anstrengend, es klappte aber, doch die Angst, entdeckt zu werden, war immer groß. Jede Bewegung, jede Antwort, jeden Gesichtsausdruck – ich passte immer auf, dass ich mich nicht verriet – ich stand immer neben mir und kontrollierte mich genau. Ich war immer zu zweit – eine, die bestimmte, wie ich mich verhalten musste und eine, die sich dann so verhielt, dass keiner merkt, wie schlecht ich doch bin und wie dreckig. Auch zu Hause klappte alles. Ich räumte die Schlafstube immer ordentlich auf, genauso wie sie abends, wenn ich runter musste war, genauso musste sie wieder aussehen so, als wäre das eben nicht hier geschehen. Er brauchte nicht zu sagen, dass ich das machen sollte, ich tat es von allein. Er redete sowieso kaum mit mir – höchstens, um mir zu sagen, wie schlecht, wie fett usw. ich sei.
Ist das nicht ein Irrsinn, aus Angst und Scham tut man alles, damit keiner was merkt und wünscht sich doch so sehr, dass jemand kommt und hilft, damit es endlich aufhört. Hat meine Stiefmutter denn nie etwas bemerkt? Oder wollte sie nichts merken? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, ich habe meine verdammte es-ist-alles-okay-Rolle so verdammt gut gespielt, dass keiner was merken konnte.
Meine Stiefmutter warf mir vor, ich sei
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