Ich will doch nur normal sein!
damit abgefunden, dass es jetzt eben so ist. Manchmal habe ich schon gedacht, was würde Mutti tun, wenn sie wüsste, wie es mir geht. Würde sie mir helfen? Aber sie hat es nie erfahren, wie es mir ging- ich habe ihr nicht mehr geschrieben und Post von ihr habe ich ja sowieso nie bekommen. Ich habe mich auch nicht getraut, es zu schreiben, was hier los ist, denn ich hatte auch Angst vor meinem Vater, er könnte es mitkriegen und was wurde dann mit mir passieren?
Ich glaube, ich habe auch nie wieder einen Brief an meine Mutti geschrieben. Vielleicht hatte ich auch endlich gerafft, dass ich keine Hilfe bekommen würde, dass ich ganz allein bin. Meine Mutti verschwand in meinem Kopf. Ich habe mich an keine Hoffnung mehr geklammert. Ich wusste, sie hat mich einfach vergessen, sie ekelt sich vielleicht vor mir und hasst mich. Nicht einmal zu meinem Geburtstag bekam ich eine Karte. Nichts.
So war es also. Ich war allein, es gab kein Leipzig mehr für mich.
Allein war ich ja immer, denn es gab niemand mit dem ich reden konnte. Dem ich sagen konnte, was passiert. Was passierte, als ich 3 Jahre alt war und was passierte, bis ich erwachsen war. Ich habe mich schuldig gefühlt, mich geschämt und geschwiegen. So getan, als wäre alles in Ordnung und mich verstellt und niemand merken lassen, wie es mir ging. Ich wusste auch nicht, mit wem ich hätte reden können. Jetzt, wo ich allein in dem Wochenendhäuschen wohnte (ich war immer noch 13 Jahre alt), brauchte ich mich nicht mehr zu verstellen, brauchte nicht so zu tun, als sei alles schön und brauchte nicht zu lächeln. Ich hatte meine Ruhe, war allein und war frei – es war keiner da, der mich beobachtet hat und so hatte ich nicht ständig das Gefühl, aufpassen zu müssen, dass man merkt, wie ich bin, was ich für eine bin. Es war auch keiner da, der ständig herum meckerte mit mir. Ich kam also langsam gut mit dem Alleinsein zurecht und fand es später gar nicht mehr so schlimm. Es war sogar schön – ich konnte da oben in Ruhe malen, mir schöne Geschichten ausdenken und Bilder dazu ausschneiden. Mit der Zeit hatte ich dann ein richtig schönes dickes Buch mit schönen Bildern und meinen Gedanken dazu. Es war meine kleine Welt und wenn ich traurig war, dann habe ich immer meine Mappe angesehen und bin in Gedanken darin verschwunden.
Ich hatte nicht lange Ruhe in meinem kleinen „Reich“ – die Zeit, in der keiner „etwas“ von mir wollte, war schon nach einem 1 Jahr herum. Meine Stiefmutter machte den Haushalt und die Einkäufe für ihre Mutter, die unten im Ort wohnte und schon 76 Jahre alt war. Es kam dann die Zeit, wo es der Frau schlechter ging und dann war so viel Arbeit unten zu tun, dass meine Stiefmutter Freitags hin ging und Samstagmittag erst wieder zurück kam von ihrer Mutter.
Eines Morgens, als meine Stiefmutter bei ihrer Mutter war, ging die Tür meines Zimmers auf. Ich war noch müde und dachte an nichts Schlechtes. Mein Vater kam rein. Er sagte kein Wort zu mir. Wieso sagte er damals eigentlich nichts? Wusste er, dass es für mich nichts Besonderes war, was gleich passieren würde?
Sicher, Mutti hatte ihm ja gesagt, was los war und deswegen war ich ja hier bei meinem Vater und deswegen war ich ja die Schlechte und durfte auch nirgends wohin gehen. Mir durfte man nicht vertrauen, ich bin es, die verdorben ist und die schuldig war. Es lag an mir und es liegt an mir, was jetzt gleich passieren wird. Mein Vater sagte immer, ich sei genauso schlecht, wie meine Mutti. Das wollte ich nicht hören. Ich wusste auch nicht, wieso sie schlecht sein sollte. Was sie gemacht haben soll, was nicht richtig war. Ich habe meine Mutti lieb und er soll nicht so über sie reden. Ich liebe meine Mutti und er sagt, sie war schlecht und ich bin genauso und wolle nur immer das „eine“ und hätte nichts Anderes im Kopf. Ich wusste, was er mit das „eine“ meinte, ich wollte das gar nicht! Ich wollte das nie! Aber wer hat schon danach gefragt? Alle haben nur gesagt, ich will das und es ist schön und würde mir gefallen usw.
Meine Meinung hat doch gar nicht interessiert! Auch jetzt nicht. Er hat es natürlich geschafft, ich fühlte mich schlecht, ich fühlte mich dreckig, ich fühlte mich schuldig und ich schämte mich für das, was ich war. Was war ich eigentlich? Damals war ich noch nicht 14 Jahre alt, durfte nie aus dem Haus, hatte noch keinen Freund. Mein Vater aber sagte mir, dass ich mit jedem rummachen würde und man mich deswegen einsperren müsse. Meine
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