Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman
den Felsen fahren.«
Aha, also nicht zur Badestelle, nicht dahin, wo viel los ist. Bei den Felsen hat man seine Ruhe. Ich werfe Tonja einen vielsagenden Blick zu und ihre Mundwinkel zucken leicht.
»Klingt gut«, sagt sie entspannt.
»Ist das eine Privatveranstaltung oder kann ich auch mit?«, fragt Oskar, worauf Ellen und Madeleine augenblicklich verkünden, dass sie dann auch mitwollen.
Lukas sieht Tonja an.
»Das ist schon eher privat«, sagt er. »Oder?«
Tonja zuckt gleichgültig mit den Schultern.»Ach, ist doch lustiger, wenn mehrere dabei sind.«
Nils studiert den Boden vor seinen Füßen. Er hat ein schönes Gesicht, klare Linien wie bei einer antiken Skulptur, lange, geschwungene Wimpern, die seine tief dunkelbraunen Augen einrahmen. Sein Vater ist Grieche und hat ein kleines Restaurant mit dem wenig originellen Namen Akropolis. Nils riecht oft nach Knoblauch, worüber sich die meisten aus der Klasse beschweren. Mich stört das nicht. Ich finde es viel ekeliger, dass Oskar nach ungeputzten Zähnen riecht. Oder saurer Milch. Jedenfalls kippelt er dauernd mit dem Stuhl nach hinten und atmet mir direkt ins Gesicht, wenn er irgendwas wissen oder einfach nur reden will.
»Okay, okay«, grummelt Lukas.
»Aber um euern Proviant müsst ihr euch selber kümmern«, sagt Nils zu Oskar, Ellen und Madeleine.
»Grillhähnchen und Kartoffelsalat«, sagt Ellen sofort. »Wir können doch ein Gemeinschaftspicknick machen?«
Lukas seufzt demonstrativ und Tonja lacht.
»Ihr macht euer Picknick und wir unseres!«, sagt Lukas.
Der Quartettflirt zwischen Lukas und Tonja und Nils und mir hat im Frühjahr angefangen. Ich kann gar nicht mehr sagen, wer das Spiel eröffnet hat, aber auf alle Fälle sind Tonja und Lukas tonangebend. Sie haben auch schon die größten Fortschritte gemacht mit Küssen und Gefummel nach einer Fete direkt vor den Sommerferien. Danach ist Lukas mit seinen Eltern in eine Hütte bei Halmstad gefahren und Nils zur Verwandtschaft nach Griechenland, und keiner von uns wusste, ob das Spiel nach den Sommerferien weitergehen würde oder nicht. Ein paar Mal im Laufe des Sommers hab ich mit dem Handy im Anschlag dagesessen und überlegt, ob ich Nils eine kurze SMS schicken soll, aber dann habe ich mir vorgestellt, wie er Hand in Hand mit einer kurvigen, dunkeläugigen Cousine am blauen Meer spazieren geht, und hab es sein lassen. Lukas hat ein paar Spotify-Links an Tonjas Facebook-Konto geschickt, aber das war alles an Kontakt, was wir hatten.
Vorgestern war nun die große Versammlung in der Aula, der Startschuss sozusagen für unser letztes Jahr an der Annelundsschule, und Nils und Lukas haben sich zu uns gesetzt, als wär’s die selbstverständlichste Sache der Welt. Mit Erstaunen habe ich das glückliche Kribbeln in meinem Bauch registriert. Ich hätte gar nicht gedacht, dass das so nah an mich rankommt. Schließlich sind das zwei Jungs aus unserer Klasse, die wir schon ewig kennen. Für Tonja und Lukas ist das Ganze wahrscheinlich nichts als das Spiel, als das es angefangen hat, ein großer Spaß. Aber ich bilde mir ein, dass das zwischen Nils und mir ernster ist, anders irgendwie. Besonders jetzt, nach den Sommerferien. Etwas, das man vorsichtig behandeln muss, damit man es nicht verscheucht. Aber vielleicht liege ich auch völlig falsch. Vielleicht hat Nils’ Interesse an mir auch nur was mit Lukas’ Wunsch von einem Viererkleeblatt zu tun. Wenn Lukas Tonja hat, bleiben sein Freund Nils und und Tonjas Freundin Vendela übrig. Wäre doch blöd, wenn wir uns da nicht zusammentun würden. Vielleicht ist es so einfach. Ich bin mir nicht sicher, aber fragen mag ich auch nicht. Tonja ist überzeugt, dass Nils in mich verliebt ist. Das sieht man, sagt sie. Zwischendurch hoffe ich, dass sie recht hat. Dann wieder nicht. Darf ich mich vorstellen: Vendela Wankelmut.
Der Garderobenraum ist nach dem grellen Sonnenlicht draußen in blaugrünes Dunkel getaucht. Ich taste nach meinen Mathebüchern und laufe hinter Tonja die Treppe zur Klasse hoch. Sie trägt ein grünes Oberteil und ihre Haut duftet nach Sommer.
Wie gesagt: Eigentlich freu ich mich, wieder zurück zu sein. Hier weiß man, wie alles funktioniert. Es gibt einen Plan, wie die Tage ablaufen. Langweilig und vorhersehbar, aber sicher.
Und da kommt sie. Sie, die sich nicht an die Spielregeln hält. Die auf alle Normen und ungeschriebenen Regeln pfeift. Silja.
Wir lehnen mit den Rücken an der Wand, und Tonja flüstert mir gerade ins Ohr, ob mir
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