Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

wen ausnutzt und wer die Verantwortung hat. Moralisch gesehen gibt es nicht immer ein eindeutiges Richtig oder Falsch. Trotzdem müssen wir Regeln und Gesetze aufstellen, so gut es geht. Und uns für das entscheiden, was am wenigsten schadet.«
    Ich suche nach einer Lücke in seiner Argumentation. Ich will, dass es Richtig und Falsch gibt, Wahr und Unwahr, Gut und Böse. Ich will, dass man sich uneingeschränkt richtig entscheiden kann. Aber offensichtlich ist es nicht so einfach.
    Wir biegen in die Korngatan ein und Papa fährt hinters Haus auf den Anwohnerparkplatz.
    »Samstag muss ich arbeiten, und Sonntag wollen wir auf den Friedhof, das Grab herbstfertig machen.« Er schließt die Holztür auf, die vom Parkplatz ins Haus führt. »Aber nächstes Wochenende würden wir gerne einen Ausflug nach Dänemark unternehmen, bevor es zu kalt und ungemütlich wird. Hört sich das gut an?«
    Ich nicke. »Sehr gut.«
    Nachdem ich Schuhe und Jacke ausgezogen habe, gehe ich in Antons Zimmer. Ich setze mich auf das Bett mit dem blauen Überwurf. Anton steht am Fenster.
    Irgendwann werde ich auch wieder mit zu seinem Grab fahren. Ich war mehrere Jahre nicht mehr dort. Der Platz hatte so gar nichts mit Anton zu tun. Aber vielleicht ist es wichtig für Mama und Papa, vielleicht tut es ihnen gut, wenn ich mit ihnen hingehe.
    Ich bin gerade in meinem Zimmer angekommen, als mein Handy Man down zu spielen beginnt. Auf dem Display steht Svens Name. Mein Herzschlag setzt aus. Ich klinge atemlos, als ich antworte. »Hallo …«
    »Hallo«, sagt Sven. »Wie … geht es dir?«
    »Gut.«
    »Schön. Ich dachte …«
    Er zögert ein paar Sekunden. Meine Finger umklammern das Handy so fest, dass ich fast einen Krampf kriege und es in die andere Hand nehme.
    »Ja?«
    »Ich hatte vor, dich erst mal in Ruhe zu lassen. Immerhin hast du gerade mit deinem Freund Schluss gemacht, und … da wäre es nur fair, dir eine Pause zu gönnen, aber … Ich sterbe fast vor Sehnsucht nach dir, wenn ich dich nicht ganz bald sehe … Wir könnten doch … Höhlenmenschen mit faulen Eiern bewerfen. Hast du Lust?«
    Ich lache.
    »Genau das ist auch mein größter Wunsch«, sage ich.
    »Mit faulen Eiern werfen?«
    »Auf Höhlenmenschen.«
    »Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.«
    Danach sehe ich mein rotwangiges Gesicht im Spiegel an. Sven ist auf dem Weg hierher. Gleich ist er da. In meinem Zimmer.
    Ich frage mich, ob ich jemals aufhören werde, mich darüber zu wundern.

Das Meer ist herbstgrau, und der Wind zerrt an unseren Kleidern, als wir am Strand entlangspazieren. Jetzt ist vielleicht nicht gerade die tollste Jahreszeit für einen Wochenendausflug nach Bornholm, aber für uns genau richtig. Es ist so unendlich viel passiert, in uns und um uns herum. Sich vom Wind durchpusten zu lassen ist wahrscheinlich genau das Richtige.
    Anton hüpft über die Steine am Wassersaum. Mama und Papa sehen ihn nicht und ich mache sie auch nicht darauf aufmerksam. Ich genieße es, sie vor mir durch den feuchten Sand spazieren zu sehen, Arm in Arm, den Blick aufs Meer gerichtet.
    Ich habe Heimweh. Aber das macht nichts. Sehnsucht ist was Schönes.

Quellen der Liedzitate im Buch:
    Baby I just wanna dance … Auszug aus Who’s That Chic? Von David Guetta, Kinda Vivianne Hamid , Frederic Jean Riesterer und Giorgio Tuinfort
    Let’s go all the way tonight … Auszug aus Teenage Dream von Katy Perry, Lukasz Gottwald, Max Martin, Benjamin Levin, Bonnie McKee
    Erase and rewind…/So where did you see me go … Auszug aus Erase/Rewind von Peter Svensson und Nina Persson
    Sick, tired and sleepless./Symptoms are so deep … Auszug aus Sick and Tired von Peter Svensson und Magnus Sveningsson
    Jedes Mal, wenn du mich ansiehst … Auszug aus Varje gång du möter min blick von Joakim Berg

Einen herzlichen Dank an Linnéa, weil du mir von deinem kleinen Bruder erzählt hast, und an Clara für den Namen Vendela, an die Schüler der Klasse 9T an der Grönkullaschule, weil sie mich im November 2010 zu einem Studienbesuch eingeladen haben, und besonders an Beatrice für Tipps, Ratschläge und Begleitung in diesen Tagen. Und schließlich ein Dank an Ingela, weil es dich gibt und du deinen eigenen Weg durchs Leben gehst.