Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
das durch knapp angedeutete Großstadtstraßen raste. Abgesehen von »Black Black« sah die Beschriftung nach einem Art-déco-Japanisch aus.
»Kaugummi. Gibt’s noch immer zu kaufen«, sagte sie. »Die Taxifahrer kauen den alle. Ist reichlich Koffein drin.«
»In Kaugummi?«
»Hier gibt’s Muntermacher mit flüssigem Nikotin.«
»Ich glaub, ich nehm lieber ein Bier.«
Als die Bedienung in winzigen silbernen Shorts und einem kurzen, anschmiegsamen, pinkfarbenen Angora-Top ihre Bestellung aufgenommen hatte, machte Arleigh ihre Handtasche auf und holte ein Notebook heraus. »Das sind strichförmige topographische Darstellungen einiger der Strukturen, die Sie sich heute Vormittag angesehen haben.« Sie
gab Laney das Notebook. »Sie sind in einem Format namens Realtree 7.2.«
Laney klickte sich durch eine Reihe von Bildern: abstrakte geometrische Gebilde, linearperspektivisch mit Fluchtpunkt angeordnet. »Ich weiß nicht, wie man die liest«, sagte er.
Sie schenkte sich ihren Sake ein. »Sind Sie wirklich von DatAmerica ausgebildet worden?«
»Ich bin von einer Gruppe tennisverrückter Franzosen ausgebildet worden.«
»Realtree ist von DatAmerica. Die beste Quantitative-Analyse-Software, die sie haben.« Sie klappte das Notebook zu und steckte es wieder in ihre Handtasche.
Laney schenkte sich sein Bier ein. »Schon mal was von ›TIDAL‹ gehört?«
»›Tidal‹? Wie die Gezeiten?«
»Vielleicht auch ein Akronym.«
»Nein.« Sie hob die Porzellantasse und pustete wie ein Kind, das seinen Tee kühlt.
»Das war auch ein DatAmerica-Tool, oder der Anfang von einem. Ich glaub nicht, dass es je auf den Markt gekommen ist. Aber so hab ich gelernt, die Knotenpunkte zu finden.«
»Okay«, sagte sie. »Was sind die Knotenpunkte?«
Laney schaute auf die Blasen an der Oberfläche seines Biers. »Es ist, wie wenn man in Wolken Dinge sieht«, sagte er. »Nur dass sie wirklich da sind.«
Sie stellte ihren Sake ab. »Yamasaki hat mir versichert, dass Sie nicht verrückt sind.«
»Das ist nicht verrückt. Es hat was damit zu tun, wie ich Breitband-Input niedriger Intensität verarbeite. Hat was mit Mustererkennung zu tun.«
»Und auf der Grundlage hat Slitscan Sie eingestellt?«
»Sie haben mich eingestellt, als ich ihnen demonstriert habe, dass es funktioniert. Aber mit den Daten, die ihr mir heute gezeigt habt, haut es nicht hin.«
»Wieso nicht?«
Laney hob sein Bier. »Weil es so ist, als wollte man mit ’ner Bank einen trinken. Aber das ist keine Person. Sie trinkt nicht. Sie kann nirgends sitzen.« Er trank. »Rez generiert keine Muster, die ich lesen kann, weil immer irgendwas vorgeschaltet ist, was er auch tut. Es ist so, als würde man in einem Geschäftsbericht nach den privaten Gewohnheiten des Aufsichtsratsvorsitzenden suchen. Die sind da nicht drin. Von außen sieht’s genauso aus wie dieses Realtree-Zeugs. Wenn ich einen bestimmten Bereich betrete, krieg ich kein Gefühl dafür, welchen Bezug die Daten dort zu allen andern haben, verstehen Sie? Ich muss Beziehungen finden.« Er trommelte mit den Fingern auf die laminierten Kaugummipapiere. »Irgendwo in Irland. Ein Gästehaus mit Blick auf den Strand. Niemand da. Unterlagen über das regelmäßig erneuerte Zubehör: Sachen fürs Badezimmer, Zahnpasta, Rasierschaum …«
»Da bin ich schon mal gewesen«, sagte sie. »Das ist ein altes Anwesen, das er von einem älteren Musiker gekauft hat, einem Iren. Es ist wunderschön. Hat fast was Italienisches.«
»Glauben Sie, er will diese Idoru dahin mitnehmen, wenn sie heiraten?«
»Niemand hat eine Ahnung, was er meint, wenn er sagt, dass er sie ›heiraten‹ will.«
»Dann eine Wohnung in Stockholm. Riesig. Gewaltige Öfen mit glasierten Kacheln in jedem Zimmer.«
»Die kenn ich nicht. Er hat überall Immobilien, und manche werden sehr geheim gehalten. Es gibt noch ein Landhaus in Südfrankreich, ein Haus in London, Wohnungen in New York, Paris, Barcelona … Ich hab im katalanischen Büro gearbeitet, hab ihren ganzen Kram reformatiert, auch für Spanien, als diese Idoru-Sache rauskam. Seitdem bin ich hier.«
»Aber Sie kennen ihn? Haben Sie ihn vorher auch schon gekannt?«
»Er ist der Nabel der Welt, in der ich arbeite, Laney. Das macht Menschen auf gewisse Weise unerkennbar.«
»Was ist mit Lo?«
»Ruhig. Sehr ruhig. Und sehr intelligent.« Sie schaute stirnrunzelnd in ihren Sake. »Ich glaub nicht, dass irgendwas von all dem Lo jemals wirklich berührt hat. Er scheint ihre ganze Karriere
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