Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
vor der Nanotechnologie, Noriko. Das wissen wir. Sogar in Tokio weigern sich siebzehn Komma acht Prozent eurer ausgesprochen technofetischistischen Bevölkerung bis auf den heutigen Tag, einen Fuß in ein Nanotech-Bauwerk zu setzen. Ich könnte auch das Beispiel von Malibu hier an der Küste nennen, wo es einen sehr schweren Biotech-Unfall gegeben hat. Nanotech hat jedoch nicht das Geringste damit zu tun. In Wirklichkeit werden die Folgen mit einer Kombination dreier intelligenter Algen beseitigt, aber alle sind sie fest davon überzeugt, dass es an den Stränden von unsichtbaren Nanobotern wimmelt, die nur darauf warten, ihnen in die Stinkemuschi zu krabbeln. Was? ›Übelriechende Katze‹? Nein. Irgendwas stimmt nicht mit Ihrer Software, Noriko. Und ich hoffe doch, Sie schreiben das nur mit, denn wir
haben vereinbart, dass das Interview nicht aufgezeichnet wird. Wenn irgendwas von dem, was ich hier sage, jemals in Form einer wie auch immer gearteten Aufzeichnung auftaucht, kriegen Sie nie wieder eins. Was? Gut. Da bin ich aber froh.« Harwood gähnt lautlos. »Na schön, noch eine letzte Frage.«
Harwood lauscht und spitzt die Lippen.
»Weil es bei Lucky Dragon um Waren des täglichen Bedarfs und um Bequemlichkeit geht. Darum, dass man die Sachen, die man braucht, wirklich braucht, dann kaufen kann, wenn man sie braucht, vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Aber bei Lucky Dragon geht es auch um Spaß. Und mit diesen Geräten werden die Leute Spaß haben. Wir haben so viele Untersuchungen durchgeführt, dass wir wissen, dass wir nicht genau wissen, was die Kunden von Lucky Dragon nun eigentlich mit dieser Technologie anfangen werden, aber das ist ja auch ein Teil des Spaßes.«
Harwood erforscht die tieferen Regionen seines linken Nasenlochs mit dem Nagel seines kleinen Fingers, scheint jedoch nichts Interessantes zu finden. »Leck mich doch«, sagt er. »›Haut einspeicheln‹? Ich glaub nicht, Noriko, aber ich würde diese Software mal durchchecken lassen, wenn ich Sie wäre. Bye.« Harwood legt den Hörer auf und starrt vor sich hin. Das Telefon klingelt. Er nimmt ab, horcht. Runzelt die Stirn.
»Warum überrascht mich das nicht? Warum überrascht mich das nicht im Geringsten?« Für Laney wirkt er, als wäre er drauf und dran, in schallendes Gelächter auszubrechen. »Na schön. Ihr könnt’s ja versuchen. Versuchen könnt ihr’s allemal. Bitte tut es. Aber wenn ihr’s nicht schafft, dann wird er euch umbringen. Euch alle. Bis auf den letzten Mann. Aber deswegen brauche ich mir ja keine Gedanken zu machen, nicht wahr? Ich habe ja eure Broschüre hier, und die ist wirklich ganz wunderbar, in Genf gedruckt, für
die Präsentation keine Kosten gescheut, komplett in Farbe, dickes Papier, und darin wird mir versichert, dass ich die Besten engagiert habe, die Allerbesten. Und ich glaube wirklich, ihr seid die Besten. Wir haben sehr wohl verglichen. Aber ich weiß auch, dass er ist, was er ist. Möge Gott euch helfen.«
Harwood legt auf.
Laney spürt, wie Libia und Paco an ihm zerren; sie wollen mit ihm unbedingt noch woandershin.
Er wünscht, er könnte bei Harwood bleiben. Er wünscht, sie könnten sich an diesem Schreibtisch gegenübersitzen und ihre Erfahrungen mit der nodalen Wahrnehmung austauschen. Ihn würde zum Beispiel brennend interessieren, wie Harwood den Knoten von 1911 interpretiert. Und er würde gern die Einführung des Lucky-Dragon-Nanofaksimiles mit Harwood diskutieren. Er stellt sich vor, wie er ein Exemplar des Garagenbausatz-Laneys losschickt – obwohl »schicken« hier nicht das richtige Wort ist –, aber wohin, und an wen?
Libia und Paco ziehen ihn dahin, wo das Ding wächst, und er sieht, dass es sich verändert hat. Er fragt sich, ob Harwood es sich in letzter Zeit angesehen hat; die Konturen einer neuen Welt, sofern man überhaupt von einer Welt behaupten kann, sie sei neu. Und er fragt sich, ob er je die Gelegenheit haben wird, mit Harwood zu sprechen. Er bezweifelt es.
Zu manchen Dingen kommt es nie, ruft er sich in Erinnerung. Zu einem aber immer, sagt die leise, kleine Stimme der Sterblichkeit.
Leck mich doch, erklärt ihr Laney.
55 CLEVERE JUNGE DINGER
Fontaine sollte sich später daran erinnern, dass er nicht an seine Smith & Wesson gedacht hatte, als er aufwachte und das Geräusch an seiner Tür hörte, sondern an die russische Chain Gun, die er rund vier Monate zuvor unter Gips und Gaze weggespachtelt hatte – aus den Augen, aus dem Sinn.
Und
Weitere Kostenlose Bücher