Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
seine Augen zuschoss; er wirbelte herum und lief nach links. Rydell sah, wie das Licht sich ein wenig ausdehnte und wie ein kalter, fahler Kugelblitz an den Innenwänden der dunklen Bar herumsauste. Leute stöhnten auf, schnappten nach Luft und schrien, als sie vorbeischoss. Vorbei an dem wogenden Knäuel an der Tür, wo schon etliche bewusstlos am Boden lagen, und immer noch keine Spur von Chevette.
Doch dann schwenkte die Rei-Kugel ins Innere des Raumes, tiefer, und Rydell sah Chevette auf Händen und Knien in Richtung Tür krabbeln. Er lief zu ihr hin, so gut er konnte – seine Seite fühlte sich an, als würde sie gleich zerreißen – , bückte sich, packte sie, zog sie hoch. Sie wehrte sich.
»Ich bin’s«, sagte er und spürte, wie unwirklich es war, sie hier und auf diese Weise wiederzusehen, »Rydell.«
»Was zum Henker machst du hier, Rydell?«
»Abhauen.«
Der blaue Blitz und das Fwut des Bolzenschussgeräts kamen gleichzeitig, aber Rydell hatte das Gefühl, als wäre das Geschoss schon vorher an seinem Kopf vorbeigezischt. Die Antwort erfolgte sofort: Eine weiße Lichtkugel nach der anderen wurde von hinten an ihm vorbeigeschleudert. Aus dem Projektor, erkannte er, und wahrscheinlich direkt in die Augen des Schals.
Er packte Chevette unterm Arm und schleifte sie über die Tanzfläche. Adrenalin überflutete den Schmerz in seiner Seite. Der Strom projizierten Lichts hinter ihm war gerade hell genug, dass er die Wand rechts von der Tür sehen konnte. Er hoffte, dass sie aus Sperrholz und nicht allzu dick war, als er das Schnappmesser aus der Tasche zog, es aufklappte und die Klinge mit erhobenem Arm genau auf Augenhöhe hineintrieb. Sie fuhr bis zum Heft hindurch, und er riss sie seitwärts und dann nach unten, hörte ein merkwürdiges kleines Zischeln sich voneinander lösender Holzfasern. Er schaffte es bis auf Hüfthöhe, drehte das Messer dann wieder nach links und fuhr damit auf der anderen Seite noch drei Viertel des Weges nach oben, bevor er das glasartige Tink der brechenden Keramik hörte.
»Tritt zu. Dahin«, sagte er und stieß mit dem Stummel der Klinge gegen die Mitte des ausgeschnittenen Teils. »Stütz dich an mir ab. Tritt zu!«
Und das tat sie. Chevette konnte wie ein Maulesel treten. Beim zweiten Versuch gab das Segment nach, und er hob sie hoch, schob sie hindurch und versuchte, nicht vor Schmerz zu schreien. Er wusste nicht genau, wie, aber er schaffte es hindurch, obwohl er jeden Moment damit rechnete, dass ihn eins dieser Unterschallgeschosse erwischen würde.
Draußen vor der Tür lagen weitere Ohnmächtige, andere knieten daneben und versuchten, ihnen zu helfen.
»Hier lang«, sagte er und humpelte Richtung Rampe und Lucky Dragon los. Aber sie war nicht bei ihm. Er wirbelte herum und sah, dass sie in die andere Richtung davonrannte. »Chevette?«
Er lief hinter ihr her aber sie wurde nicht langsamer. »Chevette!«
Sie drehte sich um. Ihr rechtes Auge schwoll an, wurde blau, schwamm vor Tränen; das linke war groß und grau und wild. Es war, als sähe sie ihn, ohne ihn jedoch zu erkennen. »Rydell?«
Und obwohl er die ganze Zeit an sie gedacht, sich an sie erinnert hatte, war es etwas ganz und gar anderes, sie jetzt vor sich zu sehen: ihre lange, gerade Nase, ihre Kinnlinie, das Wissen, wie ihre Lippen im Profil aussahen.
»Schon gut«, sagte er, denn mehr wollte ihm einfach nicht einfallen.
»Ist das kein Traum?«
»Nein«, sagte er.
»Sie haben Carson erschossen. Jemand hat ihn erschossen. Ich hab gesehen, wie ihn jemand erschossen hat.«
»Wer war das? Warum hat er dich geschlagen?«
»Er war …« Sie brach ab, ihre Schneidezähne gruben sich in die Unterlippe. »Ich hab mal mit ihm zusammengelebt. In L. A.«
»Hm«, machte Rydell. Mehr brachte er angesichts der Vorstellung, dass der Schal gerade Chevettes neuen Freund umgelegt hatte, nicht hervor.
»Ich meine, ich war nicht mit ihm zusammen. Nicht mehr. Er ist mir gefolgt, aber, du lieber Himmel, Rydell, warum hat dieser Kerl … der ist einfach angekommen und hat ihn erschossen !«
Weil er auf mich losgegangen ist, dachte Rydell. Weil er mich fertigmachen wollte und sie der Meinung sind, dass
ich ihnen gehöre. Aber das sagte Rydell nicht. »Der Kerl mit der Knarre«, sagte er stattdessen, »der wird mich suchen. Er ist nicht allein. Das heißt, du solltest lieber nicht bei mir sein, wenn er mich findet.«
»Warum sucht er dich?«
»Weil ich was habe …« Aber das stimmte nicht; er hatte den Projektor
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