Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
kein fertiges Modell jemals unbemalt bleiben wird.
Der Laney, den der Alte gerade zusammenbaut, ist ein früherer Laney, der Laney aus L. A., wo er seinerzeit als quantitativer Analytiker bei Slitscan gearbeitet hat, einer Boulevardfernsehserie von geradezu monumentaler Bösartigkeit: Dieser Laney trägt padanische Designermode und eine sündhaft teure Sonnenbrille, deren Gestell soeben vom dünnsten Feuerwiesel-Pinsel des Alten – kaum mehr als ein einzelnes Haar — in Silber herausgearbeitet wird.
Doch dieser Wachtraum wird jetzt vom Kopf des »Anzugs« unterbrochen, der sich durch die lose herabhängende Melonendecke hereinschiebt. Seine Haartracht sieht wie die steife Pompadourfrisur eines archaischen Mannequins aus. Laney spürt eher, als dass er sieht, wie exakt das schwarze Brillengestell des »Anzugs« erst kürzlich geflickt worden ist, und als der »Anzug« hereinkriecht, steigt Laney der muffige, ranzige Gestank aus der Kleidung des Mannes in die Nase. Es ist seltsam, dass man bei einem Geruch, der von einem warmen Körper erzeugt wird, an beißende Kälte denken muss, aber beim »Anzug« ist das so.
Er bringt Laney neuen blauen Sirup, neues Regain, etliche große Tafeln Schokolade mit Rohrzucker und Koffein sowie zwei Liter Billigcola. Die bemalte Hemdbrust des »Anzugs« scheint ganz leicht zu fluoreszieren, wie die Ziffern einer Taucheruhr in der Tiefe eines lichtlosen Schachts, einer Einbruchsdoline vielleicht, und Laney ertappt sich dabei, dass er ganz kurz in Fragmente eines vage erinnerten Urlaubs in Yucatan abdriftet.
Irgendwas stimmt nicht, denkt Laney; irgendwas ist mit seinen Augen, denn jetzt strahlt das Leuchthemd des »Anzugs« auf einmal so hell wie tausend Sonnen, und alles andere ist schwarz, schwarz wie alte Negative. Trotzdem gelingt es ihm irgendwie, dem »Anzug« noch zwei der nicht zurückverfolgbaren Debitchips zu geben und sogar mit einem Nicken auf die knappe kleine Salaryman-Verbeugung des zwischen Schlafsäcken und Bonbonpapier knienden Mannes zu antworten, dann ist der »Anzug« fort, und das Leuchten seines Hemdes, das war sicher nur ein Artefakt dessen, was Laney hier tun soll – was immer das sein mag.
Laney trinkt eine halbe Flasche Hustensirup, kaut und schluckt ein Drittel einer Tafel Schokolade und spült sie mit einem Schluck lauwarmer Cola hinunter.
Er schließt die Augen, und noch bevor er den Datenhelm aufsetzt, scheint er schon in den Datenstrom zu stürzen.
Er bemerkt sofort, dass Libia und Paco da sind und ihm die Richtung weisen. Sie verzichten darauf, etwas zu sagen oder sich in irgendeiner Gestalt zu zeigen, aber er erkennt sie jetzt an einer bestimmten Signatur, einem Navigationsstil. Er lässt sich von ihnen leiten, wohin sie wollen, und natürlich ist er nicht enttäuscht.
Eine Raute öffnet sich vor ihm.
Er schaut auf etwas hinab, was Harwoods Büro in San Francisco sein muss, auf Harwood, der hinter einem riesigen, dunklen, mit Planungsmodellen und Printoutstapeln übersäten Schreibtisch sitzt. Harwood hält einen Telefonhörer in der Hand.
»Eine absurde Einführaktion«, sagt Harwood, »aber es ist ja auch ein verrückter Service. Es funktioniert, weil es redundant ist, verstehen Sie? Es ist so blöd, dass es funktionieren muss .«
Laney hört die Antwort nicht und schließt daraus, dass Libia und Paco eine Überwachungskamera in der Decke
von Harwoods Büro gehackt haben. Was er hört, ist der Raumton, kein Mitschnitt des Telefonats.
Jetzt verdreht Harwood die Augen.
»Die Leute sind fasziniert von seiner Sinnlosigkeit. Das gefällt ihnen daran. Ja, es ist verrückt, aber es macht Spaß . Sie wollen Ihrem Neffen in Houston ein Spielzeug schicken, und Sie sind in Paris, also kaufen Sie’s, gehen damit zu einem Lucky Dragon und lassen es von den Molekülen in einem Lucky Dragon in Houston wiedererschaffen … Was? Was aus dem Spielzeug wird, das Sie in Paris gekauft haben? Sie behalten es. Verschenken es. Weiden es mit den Zähnen aus, Sie langweilige, fantasielose Zicke. Was? Aber nein. Nein, tut mir leid, Noriko, das muss ein Fehler Ihres Übersetzungsprogramms sein. Wie können Sie glauben, ich hätte so was gesagt?« Harwood starrt zutiefst angeödet geradeaus. »Natürlich will ich Ihnen das Interview geben. Das ist immerhin ein Exklusivinterview. Und Sie waren meine erste Wahl.« Harwood lächelt, während er die Journalistin beruhigt, aber das Lächeln erlischt, als sie zur nächsten Frage ansetzt.
»Die Menschen haben Angst
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