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Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties

Titel: Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Er schluckt. Als er spricht, ist seine Stimme gänzlich akzentfrei: »Kommst du wirklich aus Tennessee?«
    »Klar«, sagt Rydell.
    »Teufel nochmal, ich wünschte, ich auch«, sagt Creedmore matt, aber laut im Hohlraum dieser leeren Holzleiste. Sonnenlicht fällt durch das quadratische Loch über ihnen herein und bescheint einen Abschnitt aus Kantholz, das mit der Schmalseite nach oben verlegt ist, damit es einen festen Fußboden bildet.
    »Wo kommst du denn her, Buell?«, fragt Rydell.
    »Himmelarsch«, sagt Creedmore, und der Akzent kehrt zurück, »aus New Jersey.«
    Und dann fängt er an zu weinen.
    Rydell klettert wieder nach oben, bleibt auf der Leiter stehen, so dass nur sein Kopf draußen ist, und schaut nach San Francisco hinüber. Wovon Laney da auch immer geredet haben mag, diese Sache mit dem Weltuntergang und dass sich alles verändern würde, es sieht so aus, als wäre es nicht passiert.
    Rydell schaut zum schwarzen Hügel des Schlafsacks hinüber und sieht in ihm das, was er am meisten begehrt, wofür er liebevoll sorgen will, und der Wind dreht, fängt sich in seinen Haaren, und als er ganz hinaufsteigt, zurück in den Sonnenschein, hört er Creedmore in dem Raum unter sich noch immer schluchzen.

70 HÖFLICHKEITSBESUCH
    Im Taxi zum Transamerica Building schließt er die Augen und sieht die Armbanduhr vor sich, die er dem Jungen gegeben hat, auf der die Zeit nur in eine Richtung über ein schwarzes Zifferblatt wandert.
    Seine innere Zeit ist jetzt führungslos geworden, hat sich dank der Rekonstruktion von Lises Gesicht durch eine Fremde aus der Verankerung gelöst. Die Zeiger der Uhr zeichnen einen Radiumkreis, lauter Augenblicke nacheinander. Er spürt eine Spirale entfesselter Möglichkeiten in diesem Morgen, wenn auch nicht für sich.
    Die Brücke, die jetzt vielleicht ein für alle Mal hinter ihm liegt, ist ein Weg, der zu einem Ziel geworden ist: Salzluft, irgendwo beschafftes Neon, die dahingleitenden Schreie von Möwen. Er hat dort einen flüchtigen Blick auf die Randzonen eines Lebens erhascht, das ihm irgendwie uralt und ewig erscheint. Offensichtliche Unordnung, die auf eine tiefere, undenkbare Weise strukturiert ist.
    Vielleicht hat er sich zu lange im Dunstkreis derjenigen bewegt, zu lange auf der Gehaltsliste derjenigen gestanden, die in der größeren Welt das Kommando führen. Derjenigen, deren Mühlen zunehmend feiner mahlen, hin zu einem unvorstellbaren Omega-Punkt reiner Information, einem permanent kurz bevorstehenden Wunder. Das nun niemals eintreten wird, wie er irgendwie spürt, oder zumindest nicht so, wie es sich all die Auftraggeber in seinem langen Berufsleben vorgestellt haben.
    Im Atrium gibt er als Zweck seines Erscheinens »Höflichkeitsbesuch« an. Er wird entwaffnet, durchsucht, in Handschellen
gelegt und auf Harwoods Anordnung hin von seinen sieben Häschern in einen Fahrstuhl geführt.
    Und als dessen Türen sich schließen, ist er dankbar dafür, dass sie aufgeregt und unerfahren sind und ihm die Hände vor dem Bauch statt hinter dem Rücken gefesselt haben.
    Wenn der Expresslift auf Harwoods Büroetage ankommt, wird er allein sein.
    Er berührt seine Gürtelschnalle und denkt an das simple, aber überaus effiziente Werkzeug, das sich zwischen den Schichten aus feinem italienischem Kalbsleder verbirgt.
    Und lebt im Moment.

71 YAMASAKI
    Grimmig und nervös steigt Yamasaki in die frühmorgendliche Rushhour hinab, begleitet von einem sehr großen Australier mit rasiertem Schädel und einem verstümmelten Ohr.
    »Du hast gewusst, dass er hier war?«, fragt der Riese.
    »Er hat um Geheimhaltung gebeten«, sagt Yamasaki. »Tut mir leid.«
    Yamasaki führt den Australier zu der Pappkartonstadt und zeigt auf Laneys Karton und dessen Eingang.
    »Der hier?«
    Yamasaki nickt.
    Der Australier bringt jetzt ein Messer zum Vorschein, dessen Klinge auf einen Knopfdruck hin lautlos ausfährt; beide Ränder der Klinge sind gezackt. Er schlitzt das Oberteil von Laneys Karton auf und klappt es wie den Deckel einer Müslischachtel hoch, und Yamasaki sieht die Sticker mit den Bildern von Cody Harwood, die er schon einmal gesehen hat.
    Der Australier, der viel größer ist als Yamasaki, steht da und starrt in den Karton hinab.
    Yamasaki selbst ist noch nicht bereit, einen Blick hineinzuwerfen.
    »Wovor ist er weggelaufen?«, fragt der Australier.
    Yamasaki schaut in die kleinen, überaus intelligenten Augen des Mannes hinauf, die in einem Gesicht von absto-ßendster Brutalität sitzen.

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