Idoru
aus dem Süden, oder, Maryalice?«
»Bitte«, sagte Chia, »darf ich einen Dataport benutzen?«
»In Eddies Büro ist einer«, meinte Maryalice. »Aber er hängt jetzt wahrscheinlich grade am Telefon. Geh doch erst mal in den Waschraum da drüben«, sie zeigte auf die andere geschlossene Tür, »und wasch dich. Du siehst ein bißchen verpoft aus. Dann ist Eddie fertig, und du kannst deine Freundin anrufen.«
Im Waschraum gab es ein altes Waschbecken aus Stahl und eine ganz neue, sehr kompliziert aussehende Toilette mit mindestens einem Dutzend Knöpfen auf dem Wasserkasten.
Sie waren in Japanisch beschriftet. Die Polymerbrille krümmte sich ein wenig, als sie ihr Gewicht aufnahm, und Chia wäre beinahe wieder aufgesprungen. Ist schon gut, beruhigte sie sich, bloß ausländische Technik. Als sie fertig war, suchte sie sich aufs Geratewohl einen der Knöpfe aus und erzeugte einen superfeinen Sprühnebel aus warmem, parfümiertem Wasser.
Nach Luft schnappend sprang sie zurück. Sie wischte sich die Augen mit dem Handrücken ab, trat dann beiseite und probierte einen anderen Knopf. Das schien der richtige zu sein: Die Spülung ging mit einem Düsengeräusch los, das sie an den Flug hierher erinnerte.
Als sie sich an dem beruhigend normalen Waschbecken erst die Hände und dann das Gesicht mit hellblauer Flüssigseife aus einem Pumpspender wusch, der wie ein einäugiger Dinosaurier geformt war, hörte sie, wie die Spülung verstummte und ein anderes Geräusch einsetzte. Sie schaute sich um und sah einen Ring aus schwach violettem Licht irgendwo unterhalb der Klobrille oszillieren. UV-Licht, nahm sie an, zur Sterilisation.
-95—
An der Wand hing ein Poster der Dukes of Nuke ’Em, dieser grauenhaften Metal-Band von Anabolika-Freaks. Sie grinsten verschmitzt und ausdruckslos, und dem Drummer fehlten die Schneidezähne. Die Beschriftung war Japanisch. Sie fragte sich, weshalb irgendwer in Japan darauf stehen sollte, denn bei Gruppen wie den Dukes ging es nur um den Haß auf alles, was in ihren Augen nicht amerikanisch war. Aber Kelsey, die mit ihrem Vater öfter in Japan gewesen war, hatte gesagt, man könne nie wissen, was die Japaner von irgendwas hielten.
Es war nichts da, womit sie sich die Hände abtrocknen konnte. Sie holte ein T-Shirt aus ihrer Tasche und benutzte dieses, obwohl es damit nicht sonderlich gut ging. Als sie auf dem Boden kniete, um das Hemd wieder in die Tasche zu stopfen, bemerkte sie eine Ecke von etwas, was sie nicht erkannte, aber dann riß Calvin hinter ihr die Tür auf.
»’tschuldige«, sagte er.
»Ist schon okay.« Chia zog den Reißverschluß der Tasche zu.
»Nein, ist es nicht«, sagte er und schaute über die Schulter nach hinten, dann wieder zu ihr. »Hast du Maryalice wirklich auf SeaTac kennengelernt?«
»Im Flugzeug«, sagte Chia.
»Du hängst nicht mit drin?«
Chia stand auf, wobei ihr irgendwie schwindlig wurde. »Wo drin?«
Er sah sie unter dem Rand der schwarzen Kappe hervor an.
»Dann solltest du wirklich von hier verschwinden. Und zwar sofort.«
»Warum?« fragte Chia, obwohl sie die Idee gar nicht schlecht fand.
»Besser, wenn du nichts drüber weißt.« Irgendwo hinter ihm krachte es. Er zuckte zusammen. »Schon gut. Sie wirft bloß mit irgendwas. Noch sind sie nicht voll zugange. Komm«, und er -96—nahm ihre Tasche am Schultergurt und hob sie auf. Er machte jetzt schnell, und sie mußte sich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Vorbei an der geschlossenen Tür zu Eddies Büro und an der Reihe der Monitore (wo sie Leute mit Cowboyhüten beim Squaredance zu sehen glaubte, aber sie war sich nicht sicher).
Calvin klatschte seine Hand auf die Sensorplatte an der Fahrstuhltür. »Der bringt dich in die Garage«, sagte er, als das Klirren von zerbrechendem Glas aus Eddies Büro kam. »Halt dich links, zirka zehn, zwölf Meter, dann kommt ein anderer Fahrstuhl. Steig nicht im Erdgeschoß aus; wir haben Kameras in der Eingangshalle. Der unterste Knopf bringt dich zur U-Bahn. Da steigst du in den Zug.« Er gab ihr die Tasche.
»In welchen?« fragte Chia.
Maryalice schrie. Als hätte ihr etwas wirklich sehr weh getan.
»Egal.« Calvin sagte rasch etwas auf Japanisch zu dem Fahrstuhl. Der Fahrstuhl antwortete, aber da war er schon weg, die Tür schloß sich, und dann fuhr sie nach unten. Die Tasche in ihren Armen schien ein wenig leichter zu werden.
Eddies Graceland war noch da, als die Tür aufging, ein massiger Keil neben den anderen schwarzen Wagen. Sie fand
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