Idoru
aufgeräumter, sehr ordentlich und gut durchorganisiert.
Genau wie Mitsuko selbst, die sich eine rasiermesserscharfe kupferrote Diagonale in ihre schwarze Ponyfrisur gebleicht hatte und Turnschuhe mit doppelten Sohlen trug. Sie war dreizehn, ein Jahr jünger als Chia.
Mitsuko hatte Chia ihrem Vater vorgestellt, der in einem weißen, kurzärmeligen Hemd mit Krawatte drei weiß behandschuhte Männer in blauen Overalls beaufsichtigte, die mit großer Energie und Entschlossenheit sein Restaurant putzten. Mitsukos Vater hatte genickt, gelächelt, etwas auf Japanisch gesagt und sich wieder seiner Arbeit zugewandt. Auf dem Weg nach oben erzählte Mitsuko, die nicht viel Englisch sprach, sie habe ihrem Vater erklärt, Chia sei im Rahmen eines kulturellen Austauschprogramms hier und werde für kurze Zeit bei ihnen wohnen. Es habe was mit der Schule zu tun.
Mitsuko hatte das gleiche Poster wie sie an der Wand, das originale Coverfoto vom Dog-Soup-Album.
Mitsuko ging nach unten und kam mit einer Kanne Tee und einer zugedeckten, unterteilten Schachtel zurück, die eine California roll – eine Sushi-Rolle mit Surimi und Avocado – und eine Auswahl weniger bekannter Dinge enthielt. Dankbar für die vertraute California roll aß Chia alles außer dem Stück mit dem orangefarbenen Seeigelzeug drauf. Mitsuko machte ihr Komplimente wegen ihrer Geschicklichkeit mit den Stäbchen. Chia sagte, sie sei aus Seattle, und da esse man häufig mit Stäbchen.
Sie hatten jetzt beide drahtlose Ohrclips mit Mikros auf. Die Übersetzung war im allgemeinen fehlerfrei, außer wenn Mitsuko japanische Slangausdrücke benutzte, die zu neu waren, oder wenn sie englische Worte einbaute, die sie kannte, aber nicht richtig aussprechen konnte.
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Chia wollte sie nach Rez und der Idoru fragen, aber sie kamen immer wieder auf andere Themen. Dann schlief Chia im Schneidersitz auf dem Boden ein, und es mußte Mitsuko gelungen sein, sie auf ein hartes kleines Futon-Ding zu verfrachten, das sie von irgendwoher ausgerollt hatte, denn darauf wachte Chia drei Stunden später auf.
Ein regnerisches, silbernes Licht zeigte sich im schmalen Fenster des Zimmers.
Mitsuko erschien mit einer weiteren Kanne Tee und sagte etwas auf Japanisch. Chia suchte ihren Ohrclip und setzte ihn auf.
»Du mußt erschöpft gewesen sein«, übersetzte der Ohrclip.
Dann sagte Mitsuko, sie habe sich für diesen Tag schulfrei genommen, um Chia Gesellschaft zu leisten.
Sie tranken den nahezu farblosen Tee aus kleinen, knubbeligen Porzellantassen. Mitsuko erklärte, daß sie hier zusammen mit ihrem Vater, ihrer Mutter und einem Bruder namens Masahiko wohne. Ihre Mutter sei nicht da; sie besuche Verwandte in Kioto. Mitsuko sagte, Kioto sei sehr schön und daß Chia dorthin fahren solle.
»Ich bin im Auftrag meiner Ortsgruppe hier«, gab Chia zurück. »Ich kann keinen Touristenkram machen. Ich muß was rausfinden.«
»Ich verstehe«, sagte Mitsuko.
»Dann stimmt es also? Will Rez wirklich einen Software-Agenten heiraten?«
Mitsuko sah aus, als wäre ihr unbehaglich zumute. »Ich bin die Veranstaltungsorganisatorin«, sagte sie. »Das mußt du zuerst mit Hiromi Ogawa besprechen.«
»Wer ist das?«
»Hiromi ist die Präsidentin unserer Ortsgruppe.«
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»Gut«, sagte Chia. »Wann spreche ich mit ihr?«
»Wir errichten gerade einen Site für die Diskussion. Er wird bald fertig sein.« Mitsuko schien sich noch immer unwohl zu fühlen.
Chia beschloß, das Thema zu wechseln. »Wie ist dein Bruder so? Wie alt ist er?«
»Masahiko ist siebzehn«, antwortete Mitsuko. »Er ist ein ›pathologischer-Technofetischist-mit-sozialen-Defiziten‹«, das letzte wie ein Wort miteinander verbunden, was auf einen Begriff hindeutete, der das Wörterbuch der Ohrclips überforderte. Chia fragte sich kurz, ob es der Mühe wert wäre, ihn durch ihren Sandbenders laufen zu lassen, deren Übersetzungsfunktionen jedesmal ein automatisches Update bekamen, wenn sie ihn an einen Port anschloß.
»Ein was?«
»Otaku«, sagte Mitsuko überdeutlich auf Japanisch. Die Übersetzung spuckte wieder ihren schwerfälligen Bandwurmbegriff aus.
»Oh«, sagte Chia, »die gibt’s bei uns auch. Wir haben sogar das gleiche Wort dafür.«
»Ich glaube, in Amerika ist das nicht das gleiche.«
»Na ja«, meinte Chia, »es sind immer nur Jungs, stimmt’s?
Die Otaku-Jungs an meiner letzten Schule haben auf so Sachen wie Anime-Puppen, militärische Simulationen und Trivia gestanden. Vor allem auf
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