Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
sich mit schweren, vernarbten Händen energisch das Gesicht, ließ die Hände dann sinken und starrte Laney an, als sähe er ihn zum ersten Mal. Laney, der dem Blick dieser Augen auswich, betrachtete das Outfit des Mannes, eine Art Nanopor-Trainingsanzug, der für einen kleineren, aber immer noch kräftig gebauten Mann gedacht war, bei dem er lose gesessen hätte. Keine bestimmte Farbe in der Dunkelheit des Prozesses. Offen vom Kragen bis zum Brustbein. Gegen anomale Massen ankämpfend. Die bloßliegende Haut von einem Atlas kreuz und quer verlaufender Narben in verblüffend vielfältigen Formen und Strukturen überzogen. »Also?«
    Laney blickte von den Narben auf. »Ich bin zu einem Vorstellungsgespräch hier.«
    »So?«
    »Sind Sie der Gesprächsleiter?«
    »›Gesprächsleiter‹?« Die vieldeutige Grimasse enthüllte eine plumpe Zahnprothese.
    Laney wandte sich an den Japaner mit den runden Gläsern.
    »Colin Laney.«
    »Shinya Yamasaki«, sagte der Mann und streckte die Hand aus. Laney schüttelte sie. »Wir haben miteinander telefoniert.«
    -13-
    »Leiten Sie das Gespräch?«
    Hektisches Gezwinker. »Leider nein«, sagte der Mann. Und dann: »Ich bin Student der existentiellen Soziologie.«
    »Das kapier ich nicht«, sagte Laney. Die beiden gegenüber sagten nichts. Shinya Yamasaki schaute verlegen drein. Der Einohrige machte ein finsteres Gesicht.
    »Sie sind Australier«, sagte Laney zu dem Einohrigen.
    »Tassie«, verbesserte der Mann. »Hab im Bürgerkrieg auf Seiten des Südens gekämpft.«
    »Fangen wir noch mal von vorn an«, schlug Laney vor.
    »›Paragon-Asia Dataflow.‹ Sind Sie das?«
    »Penetranter Bursche.«
    »Sind wir von Haus aus«, sagte Laney. »In meinem Beruf, meine ich.«
    »Na gut.« Der Mann hob die Augenbrauen. Eine wurde von einem krummen, pinkfarbenen Narbengewebestrang in der Mitte geteilt. »Rez. Was halten Sie von dem?«
    »Sie meinen den Rockstar?« fragte Laney, nachdem er mit einem grundsätzlichen Kontextproblem gekämpft hatte.
    Ein Nicken. Der Mann musterte Laney mit tiefstem Ernst.
    »Von Lo/Rez? Der Band?« Halb Ire, halb Chinese.
    Gebrochene Nase, nie gerichtet. Längliche grüne Augen.
    Der Tasmanier nickte.
    »Was ich von ihm halte?«
    In Kathy Torrances Welt hatte dem Sänger eine besondere Verachtung gegolten. Für sie war er ein lebendes Fossil gewesen, ein lästiges Überbleibsel aus einer früheren, weniger entwickelten Ära. Er sei so ungeheuer und sinnlos berühmt, behauptete sie, wie er zugleich auch ungeheuer und sinnlos reich sei. Kathy betrachtete Prominenz als subtile Flüssigkeit, als universelles Element wie das Phlogiston der Menschen des -14—Altertums, etwas, was bei der Schöpfung gleichmäßig im ganzen Universum verbreitet war, nun aber dazu neigte, sich unter spezifischen Bedingungen um gewisse Individuen und ihre Karrieren herum zu verdichten. Rez war in Kathys Augen einfach schon viel zu lange dabei. Abscheulich lange. Er störte die Geschlossenheit ihrer Theorie. Er trotzte der korrekten Ordnung der Nahrungskette. Vielleicht gab es nichts, das groß genug war, ihn zu fressen, nicht einmal Slitscan. Und während Lo/Rez, die Band, noch immer mit nervtötender Regelmäßigkeit in einer Vielzahl von Medien ihre Produkte ausstieß, weigerte ihr Sänger sich stur, sich zugrunde zu richten, jemanden zu ermorden, politisch aktiv zu werden, ein interessantes Drogenproblem oder eine obskure sexuelle Neigung zu gestehen – ja, überhaupt etwas zu tun, was eines Aufmachers bei Slitscan würdig gewesen wäre. Er schimmerte – vielleicht matt, aber stetig – knapp außerhalb Kathy Torrances Reichweite. Was Laneys Ansicht nach der eigentliche Grund für ihren Haß auf ihn war.
    »Na ja«, sagte Laney nach einiger Überlegung und verspürte dabei den merkwürdigen Drang, eine wahrheitsgemäße Antwort zu geben, »ich weiß noch, daß ich ihr erstes Album gekauft habe. Als es rauskam.«
    »Titel?« Der Einohrige wurde noch ernster.
    »›Lo Rez Skyline‹«, sagte Laney, dankbar für das winzige synaptische Ereignis, das es ihm erlaubt hatte, sich daran zu erinnern. »Aber ich könnte Ihnen nicht sagen, wie viele sie seitdem rausgebracht haben.«
    »Sechsundzwanzig, ohne ›Best of‹-Alben«, sagte Mr. Yamasaki und rückte seine Brille zurecht.
    Laney spürte, wie die Tabletten, die er zur Dämpfung des Jetlags genommen hatte, wie ein verrottetes pharmazeutisches Gerüst unter ihm wegbrachen. Die Wände des Prozesses schienen näherzurücken.
    -15-
    »Wenn

Weitere Kostenlose Bücher