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Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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gelangt waren, aber ihr gefiel der Gedanke, daß es hier schon damals Hörer gegeben hatte, weil Visionäre an der Pazifikküste neue Sounds sogar von so obskuren Indies wie East Teipeis Dog Soup ins Netz einspeisten. Jedenfalls hatten die Einleitungsakkorde von ›Positron Premonition‹ im schicksalhaften Augenblick ihrer Geburt irgendwo bei jemand im Keller Moleküle realer Seattle-Luft umhergeschoben. Das wußte sie irgendwie, wie sie auch wußte, daß ›Stuck Pixel‹ – eigentlich gar kein richtiger Song, sondern nur Los Gegniedel auf einer Pfandhaus-Gitarre – irgendwo gelaufen sein mußte, als ihre damals kaum Englisch sprechende Mutter Chias Namen einem öfters wiederholten Spot im Shopping Channel entnommen hatte, weil ihr die phonetische Zärtlichkeit dieser Silben in der postnatalen Erholungsphase wie eine optimal sanfte Kombination von italienischen und englischen Lauten erschienen war; ihr schon damals rothaariges Baby wurde in der Folge auf den Namen Chia Pet McKenzie getauft (zum nicht geringen Erstaunen -21—
    ihres abwesenden kanadischen Vaters, wie Chia später erfuhr).
    Diese Gedanken kamen in der Dunkelheit vor dem Wecken, kurz bevor der Infrarot-Blinker an ihrem Wecker der Halogen-Galerieleuchte ein lautloses Signal schickte und ihr befahl, Lo/Rez in all ihrer Dog-Soup-Pracht zu illuminieren. Rez mit seinem offenen Hemd (aber total ironisch) und Lo mit seinem Grinsen und einem prototypischen Schnurrbart, der noch ein bißchen mickrig war.
    Hallo, Jungs. Sie tastete nach ihrer Fernbedienung.
    Zappte Infrarot ins Dunkel. Zapp: Espressomatic. Zapp: Raumheizwürfel.
    Unter ihrem Kissen die ungewohnte Form ihres Passes, wie eine alte Spielkassette, hartes, marineblaues Plastik mit Kunstlederstruktur und der goldenen Siegel-und-Adler-Prägung. Die Air-Magellan-Tickets in ihrer schlaffen, beigen Mappe vom Reisebüro im Einkaufszentrum.
    Es war soweit.
    Sie holte tief Luft. Das Haus ihrer Mutter schien ebenfalls Luft zu holen, aber verhaltener; seine hölzernen Knochen knarrten in der Kälte des Wintermorgens.
     
    Das Taxi kam pünktlich, aber trotzdem wie durch Zauberei, und nein, es hupte nicht, genau wie sie es verlangt hatte.
    Kelsey hatte ihr erklärt, wie man so was machte. Wie sie Chia auch forsch über ihre Lebensumstände ausgefragt und sich die Tarnung für ihre bevorstehende Abwesenheit ausgedacht hatte: zehn Tage in den San Juan Mountains mit Hester Chen, deren betuchte, allen Maschinen abholde Mutter solche Angst vor elektromagnetischer Strahlung hatte, daß sie ohne Telefon und jedweden Strom in einer Treibholzburg mit Grasdach wohnte.
    »Sag ihr, du machst einen Medienschnellkurs, bevor sich das mit der neuen Schule klärt«, hatte Kelsey gesagt. »Das wird ihr gefallen.« Und so war es auch – Chias Mutter fand ohnehin, -22—
    daß ihre Tochter entschieden zuviel Zeit in den Handschuhen und unter der Datenbrille verbrachte.
    Eigentlich mochte Chia die sanfte Hester, die zu kapieren schien, worum es bei Lo/Rez ging, wenn sie auch irgendwie nicht so fundamental davon gepackt wurde, wie man es hätte erwarten können, und Chia hatte auch schon die Annehmlichkeiten von Mrs. Chens Inselzuflucht ausprobiert.
    Aber Hesters Mutter hatte sie beide gezwungen, spezielle Baseballkappen aus einem Stoff zu tragen, der vor elektromagnetischer Strahlung schützte, damit ihre jungen Gehirne nicht immerfort in der unsichtbaren Suppe der schlimmen Medien gebadet wurden.
    Chia hatte sich Hester gegenüber beschwert, daß sie mit den Dingern wie Netzkappen aussähen.
    - Sei nicht so rassistisch, Chia.
    - Bin ich nicht.
    - Dann eben elitär.
    - Hier geht’s doch um Ästhetik.
    Und jetzt, in dem überheizten Taxi, mit ihrer einen Tasche neben sich auf dem Sitz, verspürte sie Schuldgefühle wegen dieser Irreführung; dort hinter den dunklen, von Eis mattierten Fenstern schlief ihre Mutter unter der Last ihrer fünfunddreißig Jahre und der geblümten Steppdecke, die Chia bei Nordstrom’s gekauft hatte. Als Chia noch klein gewesen war, hatte ihre Mutter die Haare in einem langen Zopf getragen, dessen Spitze wie der Zauberschwanz eines mythischen Tieres von Türkisen, Abaloneschalen und geschnitzten Knochenstücken durchbohrt war und hin und her tanzte, so daß Chia danach grabschen konnte. Und das Haus sah ebenfalls traurig aus, als bedauerte es, daß sie es verließ; weiße Farbe blätterte von dem darunterliegenden Grau neunzig Jahre alter Zedernschindeln ab. Chia erschauerte. Was, wenn sie nun nie

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