Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Idoru

Idoru

Titel: Idoru Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
Man schien das Ding nicht aufmachen zu können. Keine sichtbaren Nähte. Keine Markierungen. Es klapperte nicht, als sie es schüttelte.
    Vielleicht würde ›Was ist was?‹, das Icon-Wörterbuch, es erkennen, aber dazu war keine Zeit gewesen. Masahiko hatte sich unten umgezogen, als sie das blaugelbe Plastik mit Mitsukos Schweizer Armeemesser mit Seriennummer, ein Andenken an Lo/Rez, aufgeschnitten hatte. Ihr Blick war auf der Suche nach einem Versteck durchs Zimmer geschweift.
    Alles zu sauber und zu ordentlich.
    Schließlich hatte sie es wieder in ihre Tasche gesteckt, als sie ihn die Treppe von der Küche heraufkommen hörte. Und da war es jetzt, zusammen mit ihrem Sandbenders, unter ihrem Arm, als sie den Bahnhof betraten. Was wahrscheinlich nicht sehr schlau war, aber sie wußte einfach nicht, was sie sonst hätte tun sollen.
    Mit Kelseys Cashcard kaufte sie Fahrkarten für sie beide.
    -149-

19 Arleigh
    A ls Laney von Blackwell beim Hotel abgesetzt wurde, wartete dort ein Fax von Rydell auf ihn. Es war auf teuer aussehendem grauem Geschäftspapier ausgedruckt, das mit dem eigentlichen, aus einem Tag und Nacht geöffneten Lucky-Dragon-Laden auf dem Sunset abgeschickten Fax drastisch kontrastierte. Der lächelnde, glückliche Drache, der Rauch aus den Nüstern blies, war direkt unter dem geprägten, silbernen Logo des Hotels zentriert, das für Laney wie der weiche Filzhut eines Kobolds aussah. Was immer es darstellen sollte, die Dekorateure des Hotels hatten einen Narren daran gefressen. Im Foyer kehrte es als Motiv mehrmals wieder, und Laney war froh darüber, daß es bisher offenbar noch nicht in die Gästezimmer vorgedrungen war.
    Rydell hatte sein Fax mit einem Filzschreiber mittlerer Dicke in großen, äußerst sauberen Blockbuchstaben geschrieben.
    Laney las es im Fahrstuhl.
    Es war adressiert an C. LANEY, GAST:
     
    ICH GLAUBE, DIE WISSEN, WO SIE SIND. SIE HABEN
    MIT DEM GESCHÄFTSFÜHRER IM FOYER KAFFEE
    GETRUNKEN, UND ER HAT MICH DAUERND
    ANGESCHAUT. ER HÄTTE MÜHELOS DIE LISTE DER
    TELEFONGESPRÄCHE EINSEHEN KÖNNEN. HÄTTE
    ICH SIE BLOSS NICHT VON DORT AUS ANGERUFEN.
    TUT MIR LEID. JEDENFALLS SIND SIE UND DIE
    ANDEREN DANN IN ALLER EILE ABGEREIST UND
    HABEN ES DEN TECHNIKERN ÜBERLASSEN, ALLES
    ZUSAMMENZUPACKEN. EIN TECHNIKER HAT
    -150—
    DSCHINGIS IN DER GARAGE ERZÄHLT, EINIGE VON
    IHNEN SEIEN AUF DEM WEG NACH JAPAN, UND ER
    SEI FROH, DASS ER HIERBLEIBEN KÖNNE. SEHEN SIE
    SICH VOR, OKAY?
    RYDELL
     
    »Okay«, sagte Laney und erinnerte sich daran, wie er eines Nachts entgegen Rydells Rat zum Lucky Dragon gegangen war, weil er nicht schlafen konnte. In so gut wie jedem Block standen furchterregend aussehende bionische Nutten, aber ansonsten war es ihm nicht allzu gefährlich erschienen. Jemand hatte ein Wandgemälde zum Gedenken an J. D. Shapely an eine Seite des Lucky Dragon gemalt, und dessen Betreiber waren so vernünftig gewesen, es dort zu lassen, womit sie ihren Laden kulturell in das wirkliche Tag-und-Nacht-Leben auf dem Strip integriert hatten. Man konnte dort einen Burrito, ein Lotterielos, Batterien oder Tests für diverse Krankheiten kaufen. Man konnte Voicemails und E-mails aufgeben und Faxe abschicken. Laney war der Gedanke gekommen, daß es wahrscheinlich der einzige Laden im Umkreis von ein paar Kilometern war, in dem es Dinge gab, die jemand tatsächlich brauchte; die Sachen in den anderen Läden hätte er selbst nicht mal geschenkt genommen.
    Auf dem Weg durch den Flur las er das Fax noch einmal und öffnete dann mit dem Kartenschlüssel seine Tür.
    Auf dem Bett stand ein flacher Weidenkorb, in dem weißes Seidenpapier und unbekannte Gegenstände ausgebreitet waren.
    Bei näherem Hinsehen erwiesen sie sich als seine Socken und seine Unterwäsche, frisch gewaschen und in kleinen Papierhaltern mit dem geprägten Koboldhut arrangiert. Er machte die schmale, verspiegelte Schranktür auf, aktivierte dabei eine eingebaute Lampe und stellte fest, daß seine Hemden auf Bügel gehängt waren, darunter auch die blauen -151—Buttondowns, über die sich Kathy Torrance lustig gemacht hatte. Sie sahen brandneu aus. Er berührte eine der leicht gestärkten Manschetten. »Stichlänge«, sagte er. Er schaute auf Rydells gefaltetes Fax hinunter. Er stellte sich vor, wie Kathy Torrance in einem SST aus Los Angeles geradewegs zu ihm kam, und merkte, daß er sich nicht vorstellen konnte, wie sie im Schlaf aussah. Er hatte sie nie schlafen sehen, und irgendwie hatte er nicht den Eindruck, als sei

Weitere Kostenlose Bücher