Idoru
das etwas, was sie gern täte. In der merkwürdigen, vibrationslosen Stille des Überschallflugs würde sie auf die graue, leere Fensterfläche oder auf den Bildschirm ihres Computers starren.
Und an ihn denken.
Der Bildschirm hinter ihm ging mit einem leisen Glockenton an, und er sprang vor Schreck zehn Zentimeter in die Luft. Er drehte sich um und sah das BBC-Logo. Yamasakis zweiter Film.
Er hatte ein Drittel hinter sich, als die Türglocke ertönte. Rez schlenderte gerade in ausgebleichter Khakihose und Sandalen mit Schnursohlen einen schmalen Pfad in irgendeinem Dschungel entlang. Dabei sang er vor sich hin, eine wortlose kleine Melodie, immer wieder, probierte verschiedene Tonhöhen und Betonungen. Schweiß glänzte auf seiner bloßen Brust, und wenn das offene Hemd beiseite schwang, sah man eine Ecke seines I-Ging-Tattoos. Er schwenkte einen Bambusstock hin und her und hieb damit auf herabhängende Ranken ein. Laney hatte den leisen Verdacht, daß die wortlose Melodie später zu einem globalen Milliardenseller geworden war, aber er konnte sie noch nicht unterbringen. Die Türglocke ertönte von neuem.
Er stand auf, ging zur Tür und drückte auf die Sprechtaste.
»Ja?«
»Hallo?« Eine Frauenstimme.
-152—
Er aktivierte den kartengroßen, in den Türrahmen eingesetzten Bildschirm und sah eine dunkelhaarige Frau.
Ponyfransen. Die Technikerin aus dem Elektro-Kaufhaus. Er entriegelte die Tür und öffnete.
»Yamasaki meint, wir sollten uns mal unterhalten«, sagte sie.
Laney sah, daß sie ein schwarzes Kostüm mit engem Rock und eine dunkle Strumpfhose trug.
»Sollten Sie nicht einen Van kaufen gehen?« Er trat zurück, um sie hereinzulassen.
»Schon erledigt.« Sie machte die Tür hinter sich zu. »Wenn der Lo/Rez-Apparat beschließt, ein Problem mit Geld zu regeln, dann werfen sie damit nur so um sich. Und meistens ist es wirklich rausgeworfenes Geld.« Sie schaute auf den Bildschirm, wo Rez noch immer schwungvoll und ins Komponieren vertieft einhermarschierte und sich Fliegen von Hals und Brust wischte. »Hausaufgaben?«
»Yamasaki.«
»Arleigh McCrae«, sagte sie, nahm eine Karte aus einer kleinen schwarzen Handtasche und gab sie ihm. Ihr Name, vier Telefonnummern und zwei Adressen, keine davon real.
»Haben Sie eine Karte, Mr. Laney?«
»Colin. Nein. Hab ich nicht.«
»Sie können sich an der Rezeption welche machen lassen.
Hier hat jeder ’ne Karte.«
Er steckte die Karte in seine Hemdtasche. »Blackwell hat mir keine gegeben. Yamasaki auch nicht.«
»Außerhalb der Lo/Rez-Organisation, meine ich. Es ist so, als hätte man keine Socken.«
»Socken hab ich«, sagte Laney mit einer Geste zum Korb auf dem Bett. »Haben Sie Lust, sich eine BBC-Dokumentation über Lo/Rez anzuschauen?«
»Nein.«
-153-
»Ich glaube, ich kann das Ding nicht abstellen. Er würde es merken.«
»Versuchen Sie’s leiser zu machen. Per Hand.« Sie zeigte es ihm.
»Eine Technikerin«, sagte Laney.
»Mit einem Van. Und Geräten im Wert von zig Millionen Yen, die Ihnen offenbar nicht viel genützt haben.« Sie setzte sich in einen der beiden kleinen Sessel im Zimmer und schlug die Beine übereinander.
Laney nahm den anderen Sessel. »Nicht eure Schuld. Ihr habt mich prima da reingebracht. Aber mit solchen Daten kann ich nicht arbeiten.«
»Yamasaki hat mir erzählt, wozu Sie fähig sein sollen«, sagte sie. »Ich hab’s ihm nicht geglaubt.«
Laney sah sie an. »Da kann ich Ihnen auch nicht helfen.«
Drei lächelnde Sonnen zogen sich wie schwarze Holzdrucke innen an ihrer linken Wade hinunter.
»Die sind in die Strümpfe eingewoben. Katalanisch.«
Laney blickte auf. »Hoffentlich verlangen Sie jetzt nicht von mir, daß ich Ihnen erkläre, was ich nach Ansicht der Leute tue, die mich bezahlen«, sagte er, »weil ich’s nämlich nicht kann.
Ich weiß es nicht.«
»Keine Sorge«, sagte sie. »Ich arbeite hier nur. Im Moment werde ich aber dafür bezahlt, rauszufinden, womit wir Sie in den Stand versetzen könnten, das zu tun, was immer Sie angeblich können.«
Laney schaute auf den Bildschirm. Ein Konzertausschnitt, und Rez tanzte mit einem Mikrophon in der Hand. »Den Film da haben Sie doch bestimmt schon gesehen. Meint er das ernst mit diesem ›sino-keltischen‹ Kram, über den er in dem Interview gesprochen hat?«
»Sie haben ihn noch nicht kennengelernt, oder?«
-154-
»Nein.«
»Ist nicht gerade leicht, klarzukriegen, was Rez ernst meint.«
»Aber wie kann es eine ›sino-keltische
Weitere Kostenlose Bücher