If You Stay – Fuereinander bestimmt
Gesicht sehen sollen? Und auch wenn ihm möglicherweise gar nicht klar gewesen ist, welchen Anteil ich an ihrem Tod habe, so wusste er zumindest, dass es mir nicht gelungen ist, sie zu retten.
Aber ich war noch ein Kind. Nach allen Regeln der Logik hat Mila recht. Es war nicht meine Schuld. Aber ich war derjenige, der dort war. Es war meine Hand, die gegen die Pistole des Mannes gestoßen ist. Und es war mein Vater, der mir all die Jahre erlaubt hat, es vor mir selbst zu verbergen.
Ich tippe seine Nummer in mein Haustelefon, aber natürlich nimmt er nicht ab. Also hinterlasse ich ihm eine Nachricht auf der Mailbox.
»Ich weiß, was mit Mom passiert ist«, sage ich mit eisiger Stimme. »Ruf mich an.«
Ich beende das Gespräch und schleudere das Telefon an die Wand. Es bricht in Stücke. Ich schätze, wenn er mich jetzt anrufen will, muss er es über mein Handy versuchen.
Selbsthass überkommt mich, vermischt sich mit der Wut auf meinen Vater. Gefühle, die mich überwältigen und mit denen ich nicht umzugehen weiß. Scheiße, das tut verdammt weh!
Ich gehe in die Küche, um mir eine Flasche Whiskey zu holen. Ein Blick in den Schrank sagt mir, dass ich noch drei Flaschen habe. Gott sei Dank habe ich meinen Vorrat neulich wieder aufgefüllt. Ich nehme einige große Schlucke. Und dann noch ein paar. Glücklicherweise legt sich schon bald der vertraute Schleier über alles, und das willkommene Gefühl der Taubheit breitet sich in mir aus. Aber das reicht nicht.
Der Schmerz ist immer noch da.
Scheiße.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, laufe ich die Treppe hinauf, ziehe mir eine Jogginghose und ein Sweatshirt über und schlüpfe in meine Laufschuhe. Ohne einen weiteren Gedanken stürze ich zur Hintertür hinaus und renne den Pfad zum Strand hinunter. Der Sand ist fest und stellenweise zu Riffeln gefroren, die in meine Fußsohlen drücken.
Aber das ist mir egal. Ich habe es verdient.
Ich jogge in einem zügigen Tempo, atme die kalte Luft ein, die meine Lungen zum Brennen bringt.
Aber das ist mir egal. Ich habe es verdient.
Der See wirbelt zu meiner Rechten, und Wellen schlagen ans Ufer, während ich wütend über den unnachgiebigen Strand renne. Der Wind, der vom Wasser hereinbläst, ist eisig und feucht, und ich atme ihn ein, sauge ihn in meinen tauben Körper. Spritzer des eisigen Wassers treffen mein Gesicht, landen auf meinem Sweatshirt und frieren dort fest.
Ich starre in die Ferne, bemerke gar nicht, dass der Strand abfällt. Ich habe keine Ahnung, wie weit ich laufen werde, bleibe erst stehen, als ich nicht länger zu atmen vermag. Meine verdammten Lungen schmerzen, und ich habe immer noch diesen blöden Kloß im Hals, der so festsitzt, dass ich, egal, wie oft ich auch schlucke oder wie weit ich auch laufe oder wie heftig ich auch atme, ihn einfach nicht wegbekomme.
»Scheeeeeiiißeeeeeee!«
Ich drehe mich um und schreie es über den See hinaus, so laut ich nur kann. Die Kälte setzt meinen Stimmbändern zu.
Aber das ist mir egal. Ich habe es, verdammt noch mal, verdient. Ich schreie es immer und immer wieder, bis ich heiser bin. Und dann lass ich mich auf den Strand fallen und lehne mich gegen ein Stück Treibholz. Ich bin mit einem Mal völlig kraftlos. Der Schweiß steht mir auf der Stirn, obwohl es kalt ist. Der eisige Wind bläst über mich hinweg, und ich beginne zu frösteln.
Aber das ist mir egal.
Ich habe es, verdammt noch mal, verdient.
Ich habe es verdient, eine Lungenentzündung zu bekommen und hier draußen in der Kälte zu sterben.
Ich starre mit leerem Blick auf den See hinaus, versuche, rationales Denken, Logik, Erinnerungen oder Emotionen auszublenden. Ich weiß nicht einmal, wie lange ich schon hier bin oder wie viel Zeit vergangen ist, seit ich den letzten Spaziergänger am Strand gesehen habe. Mit einem Mal sehe ich aus dem Augenwinkel etwas Rotes.
Mila.
Sie trägt eine dicke lange Jacke, aus der ein roter Rollkragenpullover hervorschaut. Es ist ein mühseliger Weg dort am Strand entlang, und ich kann erkennen, wie sich ihre schmale Gestalt gegen den Wind stemmt. Ich weiß, wann sie mich entdeckt hat, denn sie beschleunigt ihren Schritt, und es dauert nur eine Minute, ehe sie mich erreicht.
»Pax!«, ruft sie. »Oh, Gott sei Dank! Was hast du dir nur dabei gedacht? Es ist eisig kalt. Du wirst dir noch eine Lungenentzündung holen.«
Ich blicke zu ihr auf. Eigenartigerweise ist mir alles egal. Dann bekomme ich eben eine Lungenentzündung. Na und?
Sie beugt sich zu mir herab,
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