Ihr wahrer Name
Ich ging in die Abstellkammer und holte eines der kleinen Halsbänder, das ich verwendet hatte, als Mitch noch ein Welpe war. Calia hörte immerhin zu weinen auf, während sie mir half, es Ninshubur anzulegen. Schließlich befestigte ich noch ein paar von Peppys alten Hundemarken daran, die an dem kleinen blauen Hals lächerlich groß wirkten, Calia aber riesige Freude machten.
Dann stopfte ich ihren kleinen Rucksack und Ninshubur in meine eigene Tasche und hob sie hoch, um sie zu meinem Wagen zu tragen. »Ich bin kein Baby mehr, ich will nicht getragen werden«, schluchzte sie, klammerte sich aber gleichzeitig an mich. Im Wagen schlief sie fast auf der Stelle ein.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, meinen Mustang die Viertelstunde, die ich brauchen würde, um Calia bei Max abzuliefern, beim Pförtner des Hotels Pleiades zu lassen, aber als ich am Wacker Drive vom Lake Shore Drive herunterfuhr, merkte ich, daß das nicht möglich sein würde, weil eine Menschenmenge die Zufahrt zum Hotel blockierte. Ich streckte den Kopf aus dem Fenster, um zu sehen, was los war. Offenbar handelte es sich um eine Demonstration mit Posten und Megaphonen. Fernsehteams vergrößerten das Chaos noch. Polizisten versuchten, Autos mit schrillen Pfiffen umzuleiten, aber es herrschte bereits ein solches Durcheinander, daß ich einige Minuten lang mit wachsender Frustration warten mußte, in denen ich überlegte, wo ich Max finden könnte und was ich mit Calia anstellen würde, die auf dem Rücksitz hinter mir tief und fest schlief.
Ich holte das Handy aus meiner Tasche, aber der Akku war leer, und das Ladegerät fürs Auto befand sich in Morrells Wagen, mit dem wir vergangene Woche einen Tag aufs Land gefahren waren. Entnervt trommelte ich aufs Steuer ein.
Trotz meiner Wut blieb mir nichts anderes übrig, als die Demonstranten zu beobachten, die sich für einander widersprechende Dinge einsetzten. Die eine Gruppe, die ausschließlich aus Weißen bestand, trug Schilder, auf denen sie die Verabschiedung des Illinois Holocaust Asset Recovery Act, eines Holocaust-Vermögensvergütungsgesetzes, forderte. »Keine Geschäfte mit Dieben«, skandierten die Leute, und: »Banken, Versicherungen, wo ist unser Geld?«
Der Mann mit dem Megaphon hieß Joseph Posner. Er war in letzter Zeit so oft in den Nachrichten gewesen, daß ich ihn selbst in einer größeren Menschenansammlung als dieser erkannt hätte. Er trug den langen Mantel und den schwarzen Hut der Ultraorthodoxen. Als Sohn eines Holocaust-Überlebenden war er auf so ostentative Weise religiös geworden, daß Lotty nur noch das Gesicht verzog. Er protestierte gegen alles - mit Unterstützung christlicher Fundamentalisten gegen Pornofilme, aber auch gegen jüdische Geschäfte wie zum Beispiel Neiman-Marcus, die am Samstag geöffnet waren. Seine Anhänger, offenbar eine Mischung aus Jeschiwa und Jewish Defense League, begleiteten ihn überallhin. Sie bezeichneten sich selbst als Maccabees und schienen sich in ihren Aktionen an den militärischen Fähigkeiten ihrer historischen Vorbilder, der Makkabäer, zu orientieren. Wie eine immer größere Zahl von Fanatikern in Amerika waren sie stolz auf ihre Verhaftungen.
Posners aktuellstes Projekt war der Versuch, die Regierung von Illinois dazu zu bringen, daß sie den Illinois Holocaust Asset Recovery Act, kurz IHARA, verabschiedete. Dieser IHARA, der sich am Vorbild von Florida und Kalifornien orientierte, untersagte es Versicherungsgesellschaften, sich innerhalb des Staates geschäftlich zu betätigen, solange sie nicht nachwiesen, daß in ihrem Unternehmen keine ausstehenden Lebens- oder Vermögensversicherungsansprüche von Holocaust-Opfern existierten. Er beinhaltete außerdem Klauseln bezüglich Banken und Unternehmen, die vom Einsatz von Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg profitiert hatten. Posner war es gelungen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses Problem zu lenken und so eine Diskussion des Gesetzesentwurfs in einem Regierungsausschuß zu bewirken. Die zweite Gruppe von Demonstranten vor dem Hotel Pleiades, die hauptsächlich aus Schwarzen bestand, trug Schilder, auf denen der Satz »Verabschiedet den IHARA« dick und rot durchgestrichen war. Ihre eigenen Forderungen lauteten: »Keine Geschäfte mit Sklavenbesitzern« und: »Finanzielle Gerechtigkeit für alle«. Auch der Mann, der diese Gruppe anführte, war leicht zu erkennen: Es handelte sich um Alderman Louis »Bull« Durham. Durham hatte schon lange nach einem Thema
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