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Ihre Leidenschaft

Ihre Leidenschaft

Titel: Ihre Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Véronique Olmi
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Hélène, ebenso feige, machte beide klein, schmeichelte beiden, derselbe Rosstäuscher … banal … lachend und banal … Der gewöhnliche Betrug. Die alltägliche Mittelmäßigkeit.
     
    Hélène wurde kalt. Ohne Motor und Heizung war das Auto ein Eisschrank, sie musste fahren, um sich aufzuwärmen. Sie blickte auf die Felder, die die Autobahn säumten, Orte, die verschwinden würden, die sie vergessen würde, ihre Anwesenheit ließ die Orte entstehen und vergehen, ihre Texte ließen ihre Liebe entstehen und die Lebenden vergehen.
     
    Sie zog die Schultern hoch, ließ ihren Hals knacken, hauchte auf ihre Hände, ihr war kalt, aber diese Auszeit war wohltuend, sie spürte, wie ihr Körper zum Leben zurückkehrte, lockerer, leichter wurde, und sie sah sich das Auto genauer an, es gab kein Autoradio, keinen Schnickschnack, nüchtern und funktionell wie ein Auto aus dem Osten, von manischer Sauberkeit, kein Stück Papier, kein vergessener Gegenstand, keine schlecht gefaltete Straßenkarte, kein vergessener Strafzettel, nichts, nur die sorgfältig ausgebreitete Hundedecke, das war ein Auto, an dem man hing, ein neues konnte man sich nicht leisten. Als sie das Handschuhfach öffnete, fand sie ein Handy und eine Brieftasche. Das Handy war so groß wie ein Walkie-Talkie, der Jäger verschickte bestimmt nicht viele Liebes-SMS, die Brieftasche dünn und beinah anonym: nur ein Personalausweis auf den Namen Robert Bertin und ein sorgfältig geglätteter, in seiner ganzen Länge ausgebreiteter Zwanzigeuroschein.
    Sie nahm das Handy, es war eiskalt und roch nach Zigarette, ein widerlicher Geruch nach kaltem Tabak, sie war angeekelt, als hätte ihr Robert Bertin seinen Nikotinatem ins Gesicht geblasen, vergilbte Zähne, gerade noch gut genug, seine Drossel zu kauen.
    Sie hatte Lust, ihren Vater anzurufen. In diesem no man’s land ihren Vater anzurufen. Von nirgendwoher, ohne Anhaltspunkt mit ihm zu sprechen, ihm zu sagen, dass sie jetzt vielleicht miteinander reden, sich einander annähern konnten, er, der nichts von Hélènes Leben und ihren Texten, weder ihr Singledasein noch die ausbleibende Mutterschaft verstand, er, der so traurig war, dass sie auf so viel Glück verzichtete; ihr Leben hätte so einfach sein können, wenn sie es gewollt hätte, wenn sie etwas anderes getan hätte, als auf Sand zu bauen, düstere Romane zu erfinden und allein zu leben, und er dachte, das alles sei seine Schuld: Was hatte er nicht gegeben, was hatte er nicht vermittelt, was war er nicht gewesen? Er hatte gearbeitet, ohne die Stunden und die Mühe zu zählen, er hatte seine Frau und seine Kinder geliebt, er war jetzt ein Patriarch, stolz auf seine Nachkommenschaft, und erwartete den Tod mit der kaum erschütterten Gelassenheit jener, für die Gott eine Gewissheit ist.
    Es war zu früh, um ihren Vater anzurufen. Zu früh um ihm zu sagen, wie sehr sie bedauerte. Sie hatte es trotz aller Anstrengungen, trotz Orly, trotz des roten Koffers nie geschafft, die Armut ein wenig zu lindern, die Sorgen zu erleichtern, sie hatte sie sogar noch etwas tiefer hineingestürzt. Sie erinnert sich …
    An jenem Morgen war die Sozialarbeiterin in das viel zu kleine Haus gekommen. Das Haus glänzte an jenem Morgen wie ein neuer Taler, glänzte mehr als gewöhnlich, und sie hatten Angst, die Dinge zu stören, als würden sie ihnen in dieser krankhaften Ordnung nicht mehr gehören. Das Haus wirkte streng, die Mutter sprach nicht, die Angst erlaubte ihr nur ab und zu mechanische Gesten des Ordnens, sie strich sich mit eiliger Hand übers Haar, sie glättete ihre Schürze, die sie umbehalten hatte wie ein Dienstmädchen, nach dem man jeden Moment läuten kann. Und als sich die Sozialarbeiterin im Wohnzimmer ihr gegenüber an die andere Seite des langen Holztisches gesetzt hatte, legte sie ihre Hände auf die Knie, eine Haltung, die sie nie einnahm, eine Steifheit, die ihrer Gestalt einen Anschein von Trockenheit und eine gezwungene Ruhe gab, die nicht zu ihr passten.
    Hélène hatte das Gespräch nicht verstanden. Die Worte des Gesprächs. Sie hatte nicht verstanden, warum ihre Mutter nicht mehr sie selbst war, was sie ausdrücken wollte, indem sie so steif und aufrecht dasaß, was sie mit dieser neuen Stimme zu äußern versuchte, die zu versagen drohte. Aber danach hatte sie geweint. Als die Sozialarbeiterin gegangen war. Sie wollte nicht, dass man sie tröstete, sie wollte nur in Ruhe weinen. Und das Haus blieb stumm, die Kinder spielten nicht mehr, die

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