Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
1.
»Ich habe mich immer frei gefühlt«
Das Osloer Rathaus war bis auf den letzten Platz besetzt, als Aung San Suu Kyi am 16. Juni 2012 ihre Nobelpreisrede hielt. Norwegische und internationale Medien beschrieben diesen Tag als das größte Ereignis in der Geschichte des Nobelpreises.
Eigentlich hätte Aung San Suu Kyi schon 1991 in Oslo anwesend sein sollen, um den ihr zugesprochenen Preis entgegenzunehmen, doch zu dieser Zeit stand sie unter Hausarrest, und die Dankesrede wurde stattdessen von ihrem Sohn Alexander gehalten. 21 Jahre waren also seit der Zuerkennung des Preises vergangen, und schon vor 23 Jahren war Aung San Suu Kyi in Burma zum ersten Mal unter Hausarrest gestellt worden. Während all dieser Jahre war sie von der Militärjunta eingesperrt gewesen und musste gleichwohl das Angebot zum Verlassen des Landes ablehnen, weil ihr klar war, dass sie niemals hätte zurückkehren können.
Nicht einmal, als ihr schwer an Krebs erkrankter Mann in England auf dem Sterbebett lag, wagte sie, sich in ein Flugzeug zu setzen und Rangun zu verlassen. Noch dazu verweigerte das Regime in Burma ihrem Mann, der seine letzten Tage gern mit ihr verbracht hätte, eine Einreisegenehmigung in das Land.
Doch im Juni 2012 befand sich Burma an einem Scheideweg. Anderthalb Jahre zuvor war eine Wahl abgehalten und eine Zivilregierung in der neuen Hauptstadt Naypyidaw eingesetzt worden. Ein Reformprozess wurde eingeleitet, und obwohl viele noch immer an den Absichten des Regimes zweifelten, das Land von Grund auf zu demokratisieren, gab es positive Schritte zu verzeichnen. Die Medien hatten größere Freiheiten bekommen, einige seit den 1990er Jahren im Ausland lebenden Journalisten diskutierten eine Rückkehr nach Burma und viele der prominentesten politischen Gefangenen waren entlassen worden.
Kurz nach dieser Wahl hatte das Regime endlich auch Suu Kyi aus der letzten, sieben Jahre währenden Gefangenschaft entlassen. Bei einer Nachwahl im April hatten 40 Politiker aus Aung San Suu Kyis Partei, der National League for Democracy ( NLD ), Parlamentssitze errungen. Auch Aung San Suu Kyi hatte kandidiert und einen Sitz gewonnen. Allein hierdurch war in den Beziehungen zwischen ihr und den Machthabern in Burma eine dramatische Veränderung eingetreten, denn in den vergangenen 23 Jahren hatten diese mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, Aung San Suu Kyi von offiziellen politischen Aufgaben fernzuhalten. Bei der 1990 durchgeführten Wahl war sie, ebenso wie bei der Wahl 2010, von einer Kandidatur ausgeschlossen worden.
Doch nun stand sie also dort, im Rathaus von Oslo, in einer dunkellila Bluse und einem silberweißen Longyi, mit einer weißen Blume im Haar, und hielt die Nobelpreisrede, die ihr vor 21 Jahren verweigert worden war.
Zu jener Zeit, als sie in der University Avenue in Rangun unter Hausarrest gestellt war, führte sie in ihrer Rede aus, habe der Nobelpreis ihr klar gemacht, dass die Welt sie nicht vergessen hatte. Die Verleihung des Preises durch das norwegische Nobelpreiskomitee habe zur Folge gehabt, dass sich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sie und die Bestrebungen der Demokratiebewegung in Burma richtete. Zwei Jahre hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt in Hausarrest verbracht. Jetzt waren die demokratischen Strömungen auf nationaler Ebene in Gang gekommen und konnten sich auch international ausbreiten.
In Oslo berichtete sie von den positiven Tendenzen, die sich im Laufe des vergangenen Jahres im politischen Leben Burmas abgezeichnet haben, brachte aber auch deutlich zum Ausdruck, dass noch enorme Anstrengungen erforderlich seien. Als sie für die Nachwahl im April kandidiert hatte, war ihr die Frage gestellt worden, wo sich Burma auf einer demokratischen Skala von 1 bis 10 befände. »Wir sind auf dem Weg zur Eins«, hatte sie damals geantwortet. Obwohl in Burma seitdem weitere Schritte zur Öffnung des Landes erfolgt sind, klang in ihrer Nobelpreisrede doch ein Echo der skeptischen Haltung durch. Sie erwähnte auch die politischen Gefangenen, die in Burma noch immer hinter Gittern sitzen. »Ich stehe hier, weil ich selbst einmal wegen meiner politischen Gesinnung eingesperrt war«, sagte sie. »Aber wenn Sie mich jetzt hier sehen und mir zuhören, liebe Freunde, denken Sie bitte auch an die wahren und oft zitierten Worte, dass nur ein einziger wegen seiner Gesinnung einsitzender Gefangener ein Gefangener zu viel ist. In meinem Land gibt es deutlich mehr als nur eine Person, die noch immer
Weitere Kostenlose Bücher