Ikone der Freiheit - Aung San Suu Kyi
dass die alte sowjetische
Prawda
mit
Wikileaks
vergleichbar gewesen wäre. Während der intensivsten Phase des Arabischen Frühlings gab es keine Berichterstattung über den Thahir-Platz in Kairo oder die Umwälzungen in Tunesien. Kein Wort über die Proteste in Syrien oder Jemen.
Aung San Suu Kyi war dennoch überzeugt, dass die Neuigkeiten aus diesen Ländern das burmesische Volk erreichten. Dank Internet und anderer digitaler Medien ist es heutzutage unmöglich, der Bevölkerung die Entwicklungen in der Welt vorzuenthalten.
»Es spielt keine Rolle, wie totalitär das Regime ist«, sagte sie. »Trotzdem haben alle etwas über die Ereignisse in Ägypten erfahren. Die Bevölkerung sammelt Fakten. Im Vergleich zu der Zeit vor sieben Jahren ist das ein enormer Unterschied. Zu jener Zeit waren die Kommunikationswege noch gar nicht so gut ausgebaut.«
Ich fragte nach Ähnlichkeiten zwischen den Protesten in Ägypten und den Massendemonstrationen in Burma im Jahr 1988. Damals hatte die Junta mit brutaler Gewalt zugeschlagen und mehrere Tausend Aktivisten getötet. Die Protestwelle hatte dazu geführt, dass die 43 Jahre alte Suu Kyi ihr friedliches Leben als Akademikerin und Mutter in Oxford aufgab und ihren Platz als Anführerin der Demokratiebewegung einnahm.
»Es gibt gewisse Ähnlichkeiten«, sagte sie. »Die Menschen haben Unterdrückung und Diktatur immer irgendwann satt. Das ist meistens eine Frage der Zeit. Aber man darf nicht vergessen, dass den Ereignissen in Ägypten eine jahrelange Entwicklung vorausgegangen ist. So etwas geschieht nicht plötzlich, auch wenn es gerade so aussieht, als hätte sich die Bevölkerung über Nacht gegen das Regime erhoben.«
Als sich Suu Kyi in den Jahren 2002 und 2003 das letzte Mal in Freiheit befand, konnte sie im Land umherreisen und politische Zusammenkünfte abhalten. Die NLD organisierte mehrere Rundreisen durch Burma, und überall versammelten sich Tausende von Menschen, um ihr zuzuhören – ein Beweis dafür, dass die Strategie der Junta, sie zu marginalisieren, nicht aufgegangen war. Als ich ihr Anfang 2011 begegnete, hatte sie noch nicht herausgefunden, ob es diesmal Grenzen für ihre Bewegungsfreiheit gab, doch sie war zuversichtlich.
»Seit ich frei bin, ist mein Terminkalender voll. Bis jetzt habe ich es noch nicht wieder geschafft, durch das Land zu reisen. Ich habe viele Journalisten wie Sie getroffen, und das hält mich vom Reisen ab«, sagte sie mit einem ironischen Augenzwinkern.
Financial Times, The Guardian, Al Jazeera, Time
und kleinere Magazine wie
Illustre
oder das schwedische
Ordfront
haben Interviews mit Suu Kyi veröffentlicht. Aber natürlich waren es nicht nur Journalisten, die sie nach ihrer Freilassung gern treffen wollten. Zahlreiche Diplomaten, Politiker, Vertreter verschiedener Organisationen und ganz gewöhnliche Burmesen haben den Warteraum vor ihrem Büro bevölkert. Sie ist mit politischen Gruppen und verschiedenen Vertretern der ethnischen Minderheiten zusammengetroffen.
Diese letzte Gruppe, die sie sogar in ihrer Nobelpreisrede im Juni 2012 erwähnte, hat immer im Zentrum der Politik Aung San Suu Kyis gestanden. Unmittelbar nach ihrer Freilassung ergriff sie beispielsweise die Initiative zur Durchführung einer neuen Panglong-Konferenz, an der das Militär, die Demokratiebewegung und die ethnischen Minderheiten teilnehmen sollten. Panglong ist ein Staat in Zentralburma, wo Suu Kyis Vater, der Befreiungsheld Aung San, die ethnischen Minderheiten in den 1940er Jahren davon überzeugte, sich einem föderalen Staat anzuschließen, dessen an den Landesgrenzen gelegenen Teilstaaten ein bedeutendes Maß an Selbstverwaltung versprochen wurde. Seit Jahren fordern viele Gruppen ein neues »Panglong-Abkommen«, um Burmas Probleme zu lösen.
Nach ihrer Freilassung hat Aung San Suu Kyi in verschiedenen Interviews häufig noch etwas anderes wiederholt – dass sie trotz des langen Hausarrestes keinen Hass gegenüber ihren Bewachern hege. Sie wolle mit den Generälen reden und sich nicht an ihnen rächen. Viele Male wiederholte Suu Kyi, dass sie sie als Menschen respektiere, auch wenn sie vielen ihrer Handlungen kritisch gegenüberstehe.
Ein faszinierender Kommentar, wenn man bedenkt, dass er von einer Person stammt, die 15 Jahre eingesperrt war. Faszinierend auch insofern, als die Junta sie jahrzehntelang als rachsüchtige dogmatische Aufrührerin dargestellt hatte.
Als ich sie im Februar 2011 traf, war sie seit knapp drei Monaten frei. Der
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