Illuminati
Trotzdem hat er mich niemals vergessen. Und er… er ist der Vater, an den ich mich erinnere.« Ein Taschenlampenstrahl verirrte sich in das Gesicht des Camerlengos, und Vittoria bemerkte die Einsamkeit in seinen Augen.
Die Gruppe erreichte einen weiteren der mächtigen Pfeiler, und die Scheinwerferkegel ihrer Lampen trafen sich über einer Öffnung im Boden. Vittoria schaute die Treppe hinunter, die im Dunkel verschwand, und wäre mit einem Mal am liebsten umgekehrt. Die Gardisten halfen dem Camerlengo bereits auf die Stufen. Vittoria war als Nächste an der Reihe.
»Was wurde aus ihm?«, fragte sie, während sie die Stufen hinunterstieg, bemüht, ihrer Stimme einen gleichmütigen Klang zu verleihen. »Dem Kardinal, der Sie bei sich aufgenommen hatte?«
»Er hat das Kardinalskollegium verlassen, um eine andere Aufgabe zu erfüllen.«
Vittoria war überrascht.
»Und dann starb er, wie ich voller Trauer sagen muss.«
»Le mie condoglianze«, sagte Vittoria. »Das tut mir Leid. Es ist noch nicht lange her, oder?«
Der Camerlengo wandte sich um, und die tiefen Schatten machten den Schmerz auf seinem Gesicht noch deutlicher. »Genau fünfzehn Tage. Wir gehen jetzt zu ihm.«
84.
Die Lampen erhellten den Tresor nur schwach. Er war viel kleiner als der letzte, den Langdon im Vatikanischen Geheimarchiv betreten hatte. Weniger Luft. Weniger Zeit. Er wünschte, er hätte daran gedacht, Olivetti um das Einschalten der Luftzufuhr zu bitten.
Rasch suchte Langdon nach der Sektion, in der Belle Arti katalogisiert waren. Sie war nicht zu übersehen – fast acht Regale voll. Die Kirche besaß Millionen von Kunstwerken auf der ganzen Welt.
Er suchte in den Regalen nach Giovanni Lorenzo Bernini und kämpfte einen Augenblick lang gegen die aufsteigende Panik, das Buch könnte fehlen; dann stellte er zu seiner Bestürmung fest, dass die Bände nicht alphabetisch geordnet waren.
Erst als er an den Anfang der Regale zurückkehrte und eine Rollleiter hinaufstieg, um die oberen Reihen in Augenschein zu nehmen, begriff er die Organisation des Tresors. Schließlich fand er zuoberst die dicksten Bände von allen, in denen die Werke der Meister der Renaissance katalogisiert waren, Michelangelo, Raphael, da Vinci, Botticelli. Langdon erkannte, dass die Werke nach dem monetären Gegenwert der jeweiligen Kunstsammlungen sortiert waren. Zwischen Raphael und Michelangelo fand er den Band mit dem Titel Bernini. Er war fast zwanzig Zentimeter dick.
Mühsam balancierte Langdon den schweren Band, während er die Leiter hinunterstieg. Dann legte er sich wie ein Kind mit einem Comicbuch auf den Boden und schlug den Folianten auf.
Er war in Stoff gebunden und sehr robust. Die Seiten waren von Hand in italienischer Sprache beschrieben. Jede Seite katalogisierte ein einzelnes Werk, einschließlich einer kurzen Beschreibung, des Datums der Fertigstellung, des Aufstellungsorts, der Materialkosten und manchmal einer groben Skizze des Stücks. Langdon blätterte durch die Seiten… insgesamt mehr als achthundert. Bernini war ein fleißiger Mann gewesen.
Als junger Kunststudent hatte Langdon sich stets gefragt, wie ein einzelner Mann in seinem Leben so viele Werke schaffen konnte. Später hatte er erfahren – sehr zu seiner Enttäuschung –, dass berühmte Künstle r tatsächlich nur sehr wenige Arbeiten selbst angefertigt hatten. Sie unterhielten Ateliers und Schulen, in denen Schüler die Arbeiten nach den Entwürfen der Meister ausgeführt hatten. Bildhauer wie Bernini hatten kleine Modelle aus Ton geformt und andere bezahlt, damit sie sie in Marmor vergrößerten. Hätte Bernini all seine Werke selbst schaffen müssen, wäre er wohl heute noch nicht damit fertig.
»Inhaltsverzeichnis!«, sagte Langdon laut zu sich selbst und zwang sich, methodisch vorzugehen. Er blätterte ans Ende des Folianten, um unter »F« wie fuoco zu suchen, doch die F’s standen noch nicht einmal zusammen. Langdon fluchte leise. Was haben diese Leute nur gegen alphabetische Ordnung?
Die Einträge waren offensichtlich chronologisch geordnet, nach dem Datum, so, wie Bernini mit seinen Arbeiten fertig geworden war. Der Index bedeutete also keine Hilfe.
Als Langdon auf die lange Liste starrte, kam ihm ein weiterer entmutigender Gedanke. Der Titel des Werkes, nach dem er suchte, enthielt vielleicht nicht einmal das Wort Feuer. Die vorhergehenden beiden Arbeiten –Habakuk und West Ponente – hatten schließlich auch keinen Hinweis auf Luft oder Erde
Weitere Kostenlose Bücher