Illuminati
er unter dem Einfluss des Morphiums halluzinierte und die Szene sich verändert hätte, wenn er die Augen wieder aufschlug. Doch so war es nicht.
Sie wussten Bescheid.
Merkwürdigerweise spürte der Camerlengo keine Furcht. Zeig mir den Weg, Vater. Gib mir die Worte, damit ich ihnen zeigen kann, was Du mir gezeigt hast.
Doch Gott antwortete nicht.
Vater, wir sind so weit gekommen, lass es nicht so enden!
Stille.
Sie verstehen nicht, was wir getan haben, Vater.
Der Camerlengo wusste nicht, welche Stimme nun in seinem Kopf erklang, doch die Botschaft war deutlich.
Die Wahrheit wird dich erlösen…
Und so geschah es, dass der Camerlengo Carlo Ventresca mit
hoch erhobenem Haupt zum Altar der Sixtinischen Kapelle trat. Nicht einmal das Kerzenlicht konnte die steinernen Blicke erweichen, mit denen die Kardinale ihn musterten. Erkläre dich, sagten ihre Blicke. Bring einen Sinn in diesen Wahnsinn. Sag uns, dass unsere Ängste unbegründet sind!
Die Wahrheit, sagte der Camerlengo zu sich selbst. Nichts als die Wahrheit. Diese Wände enthielten schon zu viele Geheimnisse… und eines davon war so dunkel, dass es ihn in den Wahnsinn getrieben hatte. Doch aus dem Wahnsinn kam das Licht!
»Wenn Sie Ihre Seele geben könnten, um Millionen zu retten«, begann der Camerlengo, während er zum Altar schritt, »würden Sie es tun?«
Die Gesichter in der Kapelle starrten ihn an. Niemand regte sich. Niemand sagte ein Wort. Draußen auf dem Platz war noch immer das freudige Singen der Menschen zu hören.
Der Camerlengo trat auf die Kardinale zu. »Welche Sünde ist größer? Den Feind zu töten oder untätig dabeizustehen, wenn die eine große Liebe erstickt wird…?« Sie singen auf dem Petersplatz! Der Camerlengo hielt inne und richtete den Blick nach oben, zur Decke der Sixtinischen Kapelle. Michelangelos Gott erwiderte seinen Blick aus dem dunklen Gewölbe – und es sah aus, als wäre Er zufrieden.
»Ich konnte nicht länger untätig dabeistehen«, sagte der Camerlengo. Er näherte sich noch weiter, sah jedoch keinen Funken von Verständnis in ihren Augen. Erkannten sie denn nicht die strahlende Reinheit seiner Taten? Erkannten sie denn nicht, wie notwendig sie gewesen waren?
Es war so einfach gewesen.
Die Illuminati. Wissenschaft und Satan in einer Person.
Erwecke die alte Furcht zu neuem Leben. Und dann vernichte sie.
Grauen und Hoffnung. Bring sie dazu, wieder zu glauben.
Heute Nacht hatten die Menschen die Macht der Illuminati zu spüren bekommen… und mit welch glorreicher Konsequenz! Die Apathie war wie weggewischt. Furcht hatte die Welt umrundet wie ein Blitz und die Menschen vereint. Und Gottes Herrlichkeit hatte die Dunkelheit ausgelöscht.
Ich konnte nicht untätig dabeistehen!
Die Inspiration war Gottes Werk gewesen – für den Camerlengo ein Leuchtfeuer in der Nacht des tiefsten Schmerzes. Oh, welch eine gottlose Welt! Jemand muss sie erlösen! Du. Wenn nicht du, wer dann? Du bist aus einem bestimmten Grund errettet worden. Zeig ihnen die alten Dämonen. Erinnere sie an ihre Furcht. Apathie bedeutet Tod. Ohne Dunkelheit gibt es kein Licht, und ohne das Böse nichts Gutes. Bring sie dazu, dass sie wählen. Licht oder Dunkel. Wo ist die Furcht, wo sind die Helden? Wenn nicht jetzt, wann denn?
Der Camerlengo ging auf die wartenden Kardinale zu. Er fühlte sich wie Moses, als das Meer roter Binden und Kappen sich vor ihm teilte. Oben beim Altar schaltete Robert Langdon den Fernseher aus, nahm Vittorias Hand und verließ den Altar. Dass Robert Langdon überlebt hatte, konnte nur Gottes Wille gewesen sein. Gott selbst hatte Langdon gerettet.
Aus welchem Grund, fragte sich der Camerlengo.
Die Stimme, die nun die Stille durchbrach, gehörte der einzigen Frau in der Sixtinischen Kapelle. »Sie haben meinen Vater ermordet?«, fragte sie und trat vor.
Der Camerlengo wandte sich zu Vittoria Vetra um. Er konnte den Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht recht deuten -Schmerz, ja, aber Wut? Sie musste doch verstehen, was ihn bewegt hatte. Das Genie ihres Vaters war tödlich. Er musste aufgehalten werden. Um der Menschheit willen.
»Er hat für Gott gearbeitet«, sagte Vittoria.
»Für Gott arbeitet man nicht in einem Labor, sondern mit dem Herzen.«
»Das Herz meines Vaters war rein! Und seine Forschungen haben bewiesen…«
»Seine Forschungen haben wieder einmal bewiesen, dass das Wissen der Menschen schneller wächst, als ihre Seelen es verkraften!« Die Worte klangen schärfer, als der Camerlengo
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