Illuminatus 1 - Das Auge in der Pyramide
Desillusionierung gemessen musste, begann er mit steigendem Interesse den Wobblies und anderen Anarchisten zuzuhören. Er besann sich der Worte seines fiktiven Lieblingshelden: «Wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind und dann noch etwas übrigbleibt, muss das die Wahrheit sein.»
Joe fand heraus, dass die Anarchisten den SDS nicht verlassen würden - «Wir bleiben drin und werden einigen Leuten mal richtig in den Arsch treten», sagte einer von ihnen unter dem Applaus und den Anfeuerungsrufen der anderen. Darüber hinaus schienen sie sich jedoch in einem Wirrwarr ideologischer Unstimmigkeiten zu befinden. Schritt für Schritt begann Joe die Konfliktstellen zu orten: da gab es die Anarcho-Individualisten, die wie rechtsaussen ansässige Republikaner tönten (mit Ausnahme dessen, dass sie alle Funktionen der Regierung lahmlegen wollten); dann waren da die Anarcho-Syndikalisten und die Wobblies, die sich wie Marxisten anhörten (ausser, dass sie alle Funktionen der Regierung ablehnten und sie beseitigen wollten); und die Anarchie-Pazifisten, bei denen man Ghandi und Martin Luther King heraushören konnte (bis auf die Tatsache, dass sie alle Funktionen der Regierung ablösen wollten);
schliesslich noch eine Gruppe, die man, fast zärtlich, «die Verrückten» nannte - ihre Position war äusserst schwer zu bestimmen. Und dieser Gruppe gehörte Simon an.
In einer Rede, der Joe nur unter grossen Schwierigkeiten zu folgen vermochte, erklärte Simon, dass eine «Kulturrevolution» wichtiger sei als eine politische Revolution; dass Bugs Bunny als Symbolfigur aller Anarchisten adoptiert werden solle; dass Hoffmanns Entdeckung des LSD ein Manifest der direkten Intervention Gottes in menschliche Angelegenheiten war; dass die Nominierung des Keilers Pigasus für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten den «transzendental weitblickendsten» politischen Akt des zwanzigsten Jahrhunderts darstellte; und dass «Orgien von Potrauchern und Massenrammeleien an jeder Strassenecke» als nächster praktischer Schritt zur Befreiung der Welt von Tyrannei unumgänglich sei. Auch schlug er gründliches Studium des Tarot vor, um, wie er sagte, «den Feind mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen» - was immer das auch heissen mochte. Am Ende seiner Rede ging er schliesslich auf die mystische Bedeutung der Zahl 23 ein. «Zwei plus drei ist fünf und entspricht der Pentade, innerhalb derer man den Teufel beschwören kann. Ich erinnere an ein Fünfeck, zum Beispiel an das Pentagon in Washington. Zwei geteilt durch drei ergibt 0,666 (gemäss der Offenbarung des St. John The Mushroom-Head war 666 die Zahl des Antichrist).» Und er fuhr fort, dass die 23 selbst für Eingeweihte präsent war, «wegen ihres auffällig exoterischen Abwesendseins» in den Zahlen, die in der Hausnummer der Wobbly Hall enthalten sind, 2422 North Halstead -und dass die Daten der Ermordung John F. Kennedys und Lee Harvey Oswalds, der 22. und 24. November, ebenfalls eine 23 enthielten, die nicht sichtbar waren. Als er schliesslich ausgepfiffen wurde, kehrte die Unterhaltung auf ein mehr weltliches Niveau zurück.
Halb einem barbarischen Einfall folgend und halb aus Verzweiflung beschloss Joe, einen seiner chronischen Glaubensakte anzustrengen und sich, wenigstens für eine Zeitlang, selbst zu überreden, dass Simons Ausführungen immerhin eine gewisse Bedeutung beizumessen war. Sein gleichermassen chronischer Skeptizismus würde sich, das wusste er aus Erfahrung, sowieso schon früh genug wieder einstellen.
«Was die Welt als geistige Gesundheit bezeichnet, hat uns in die derzeitigen planetarischen Krisen geführt», hatte Simon gesagt, «und die einzige lebensfähige Alternative ist der Wahnsinn.» Das war ein Paradoxon, das ein paar Betrachtungen wert war.
«Zu der 23 da», sagte Joe, als er sich vorsichtig tastend Simon näherte, nachdem die Sitzung aufgehoben war. «Ich meine...»
«Sie ist überall», lautete die unverzügliche Entgegnung. «Ich habe nur gerade die Oberfläche ein wenig angekratzt. Alle grossen Anarchisten starben am 23. des einen oder anderen Monats - Sacco und Vanzetti am 23. August, Bonnie und Clyde am 23. Mai, Dutch Schultz am 23. Oktober - und Vince Coll war 23 Jahre alt, als er in der 23. Strasse erschossen wurde - und selbst wenn John Dillinger am 22. Juli starb, wenn du mal in Tolands Buch, The John Dillinger Days, herumblätterst, wirst du finden, dass er vom 23er-Prinzip nicht ausgespart wurde, weil in jener Nacht 23 weitere
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