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Illuminatus 1 - Das Auge in der Pyramide

Illuminatus 1 - Das Auge in der Pyramide

Titel: Illuminatus 1 - Das Auge in der Pyramide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Shea & Robert Anton Wilson
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der Priester.
    «Tue was du willst, soll das ganze Gesetz sein», wiederholte Joe im Chor mit der Gemeinde.
    Der Priester - er war der einzige, der vor Beginn der Zeremonie seine Kleider nicht abgelegt hatte - war ein leicht rot-gesichtiger Mann mittleren Alters und trug ein katholisches Priestergewand. Joes Unwohlsein mochte teilweise von der Ähnlichkeit dieses Priesters mit den Priestern seiner Jugendzeit herrühren. Daran hatte sich auch nichts geändert, als Simon ihn als «Padre Pederastia» vorgestellt hatte - den Namen hatte er mit einer anzüglichen Betonung ausgesprochen und Joe kokett in die Augen gesehen.
    Die Gemeinde liess sich leicht in zwei sich voneinander unterscheidende Gruppen teilen: arme Ganztagshippies aus den alten Vierteln der Stadt und reiche Feierabendhippies aus dem Viertel um den Lake Shore Drive selbst. Einige der letzteren stammten offensichtlich auch aus den Werbeagenturen der Michigan Avenue. Allerdings waren sie nur zu elft, Joe eingeschlossen; mit dem Padre Pederastia zwölf - wo aber war die traditionelle dreizehnte Person?
    «Bereitet die Pentade vor!» befahl Padre Pederastia.
    Simon und ein ziemlich hübsches Mädchen, beide unschuldig-unbewusst ihrer Nacktheit, erhoben sich, verliessen die Gruppe und gingen zur Tür, die, wie Joe vermutete, zu den Schlaffräumen führte. An einem Tisch, auf dem aus einem umgestülpten Ziegenschädel Haschisch- und Räucherstäbchen glimmten, machten sie halt und nahmen ein Stückchen Kreide zur Hand. Dann hockten sie nieder und zeichneten ein grosses Fünfeck auf den blut-roten Bodenbelag. An jede Seite fügten sie ein Dreieck an und bildeten damit einen Stern - einen besonderen Stern, wie Joe wusste, einen Stern, der als Pentagramm, dem Symbol der Werwölfe und Dämonen, bekannt war.
    Joe ertappte sich bei dem Gedanken an ein altes, kitschiges Gedicht, das auf einmal Bedeutung zu erhalten schien:
    Selbst ein Mann, der rein ist von Herzen Und seine Gebete aufsagt bei Nacht Kann in einen Wolfsich verwandeln, wenn der Eisenhut blüht Und der Herbstmond scheint in voller Pracht
    «I-O», sang der Priester verzückt.
    «I-O», kam der Chor.
    «I-O, E-O, Evoe», der Gesang steigerte sich ins Unheimliche.
    «I-O, E-O, Evoe», folgte die rhythmische Wiederholung.
    Joe spürte einen merkwürdig bitteren Aschegeschmack, der sich in seinem Mund zusammenzog, und Kälte, die seine Finger und Zehen erstarren liess. Selbst die Luft schien plötzlich stickig und unangenehm, schleimig feucht zu sein.
    «I-O, E-O, Evoe, HE!» schrie der Priester, in Angst oder Ekstase.
    «I-O, E-O, Evoe, HE!» hörte Joe sich mit den anderen einfallen. War es Einbildung oder veränderten sich ihre Stimmen wirklich zu bestialischem Röcheln?
    «Öl sonufvaoresaji», sagte der Priester in sanfterem Tonfall.
    «Öl sonufvaoresaji», wiederholte der Chor.
    «Es ist vollbracht», sagte der Priester. «Wir können den Wächter passieren.»
    Die Gemeinde erhob sich und bewegte sich zur Tür hin. Joe bemerkte, dass eder vorsichtig darauf bedacht war, in das Pentagramm einzutreten und dort einen Augenblick zu verharren, um Kraft zu sammeln, bevor man sich schliesslich der Tür näherte. Als er an der Reihe war, entdeckte er auch warum. Die Schnitzerei auf der Tür, die aus der Ferne höchstens geisterhaft, vielleicht obszön, erschien, konnte einen, aus der Nähe betrachtet, ganz schön aus der Fassung bringen. Sich selbst einzureden, dass diese Augen nichts als eine optische Täuschung waren, schien nicht einfach. Man konnte sich des Gefühls, dass sie einen durchdringend betrachteten, nicht erwehren. Und besonders liebevoll war der Blick gewiss auch nicht. Dieses... Ding... war der Wächter, der hatte beschwichtigt werden müssen, bevor man in den nächsten Raum eintreten konnte.
    Joes Finger und Zehen waren endgültig im Erfrieren begriffen und Autosuggestion war wahrhaftig keine plausible Erklärung dafür. Er fragte sich, ob er womöglich Frostbeulen davontragen würde. Aber dann trat er in das Pentagramm und die Kälte nahm unvermittelt ab, die Augen des Wächters waren weniger bedrohend und ein Gefühl von frischer Energie durchströmte seinen Körper. Ein ähnliches Gefühl wie nach einem Sensitivity-Training, nachdem er sich durch Schreien, Weinen, Um-sich-Treten und Fluchen von Furcht und Wut befreit hatte.
    Er passierte den Wächter mit Leichtigkeit und schritt in das Zimmer, in dem die eigentliche Messe abgehalten werden sollte.
    Es kam ihm vor, als hätte er das zwanzigste

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