Illuminatus 2 - Der goldene Apfel
wöchentliche Predigt halten.»
« Scheiße!» hörte man eine texanische Stimme. «Inzucht!» kam eine brasilianische Frauenstimme hinterher. Hagbard krauste die Stirn. « Das klang ja nicht gerade nach Begeisterung», kommentierte er niedergeschlagen. «Ist der Rest von euch so passiv, daß ihr nichts anderes könnt, als müßig auf euren lahmen Ärschen herumzusitzen und euch von mir zu Tode langweilen zu lassen?» Der Texaner, die Brasilianerin und ein paar andere erhoben sich. «Wir werden eine kleine Orgie veranstalten », sagte die Brasilianerin knapp, und sie gingen hinaus. «Well, was bin ich froh, daß wenigstens noch ein bißchen Leben in dieser alten Sardinenbüchse übrigbleibt», grinste Hagbard. «Was euch übrige angeht, wer kann mir, ohne ein Wort zu äußern, den Trugschluß der Illuminaten zeigen ?»
Ein junges Mädchen — sie war bestimmt nicht älter als fünfzehn, dachte sich George, und das jüngste Mitglied der Mannschaft; er hatte gehört, daß sie aus einer sagenhaft reichen römischen Familie stammte und von zu Hause weggelaufen war — hob langsam den Arm und formte die Hand zur Faust. Hagbard drehte sich wütend zu ihr hin. «Wie oft muß ich euch noch sagen: keine Betrügerei! Das hast du doch aus irgend so einem billigen Buch über Zen, das weder du noch der Autor selbst verstanden haben. Ich hasse es, mich diktatorisch geben zu müssen, aber so ein vorgeheuchelter Mystizismus ist eines der Dinge, die der Diskordianismus nicht überleben kann. Du gehst eine Woche lang Dreckarbeiten in der Küche verrichten, du Klugscheißerin.»
Das Mädchen blieb bewegungslos stehen, in derselben Position, die Faust gehoben, und nur langsam konnte George die Spur eines Lächelns ausmachen, das um ihre Lippen spielte. Dann begann auch er zu lächeln.
Hagbard blickte einen Moment vor sich hin und zuckte auf die
ihm typische, sizilianische Weise die Achseln. « O oi ehe siete in piccioletta barca », sagte er leise und verbeugte sich dabei. «Ich bin immer noch für nautische und technische Angelegenheiten zuständig», verkündete er, « aber Miss Portinari löst mich von nun an als Episkop des Leif Erikson-Geheimbundes ab. Jeder, der irgendwelche spirituellen oder psychologischen Probleme hat, möge sie ihr unterbreiten.» Er ging quer durch den Saal, drückte das Mädchen an sich, lachte zusammen mit ihr für einen Augenblick glücklich auf und streifte ihr seinen Ring mit dem goldenen Apfel auf den Finger. «Nun muß ich wenigstens nicht jeden Tag meditieren», rief er fröhlich aus, «und werde mehr Zeit haben, etwas nachzudenken.»
In den nächsten zwei Tagen, während die Leif Erikson langsam die Valusische See durchquerte und sich der Donau näherte, bemerkte George, daß Hagbard wirklich all sein mystisches Drum und Dran abgelegt hatte. Er sprach nunmehr nur noch von technischen Angelegenheiten das U-Boot betreffend oder ganz anderen, weltlicheren Themen, und kümmerte sich nicht im geringsten um das ganze Rollenspiel, den ständigen Rollenwechsel und alle anderen Taktiken, die seine Mannschaft häufig in Verwirrung gebracht hatten und die so charakteristisch für seine Persönlichkeit gewesen waren. Was übrigblieb oder was jetzt sichtbar wurde -der neue Hagbard oder der alte Hagbard jener Tage, bevor er die ; Guruschaft erlangt hatte — war ein hart arbeitender, pragmatischer Schiffsingenieur mittleren Alters, mit weitreichender Intelligenz und weitreichenden Interessen, von einer überwältigenden Zuvorkommenheit und Großzügigkeit sowie mit all den vielen kleinen Anzeichen von Nervosität, Angst und Überarbeitung. Doch die meiste Zeit über machte er einen glücklichen Eindruck, und George erkannte, daß die Euphorie daher rührte, daß er eine enorme Last abgelegt hatte.
Miss Portinari selbst hatte inzwischen jene selbst-auslöschende Eigenschaft abgelegt, die sie früher selbst so schnell in Vergessenheit hatte geraten lassen, und, von jenem Augenblick an, da Hagbard ihr den Ring gegeben hatte, war sie so zurückgezogen und so gnomisch wie eine etruskische Hexe. George fand, daß er vor ihr tatsächlich so etwas wie Angst verspürte - ein unangenehmes Gefühl für ihn, wo er doch gemeint hatte, Angst in dem Augenblick transzendiert zu haben, in dem er herausfand, daß er ein Roboter und somit auf sich selbst gestellt war, weder feige noch mordlustig. Einmal versuchte George, mit Hagbard über seine Gefühle zu diskutieren, als es sich am 2.8. April traf, daß sie im Verlauf des
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