Im Angesicht der Schuld
gewesen. Ich brauche keine Fantasie, um mir vorzustellen, wie es Bea geht. «
Dazu brauchte ich auch keine Fantasie.
» Seien Sie nicht enttäuscht, wenn sie Sie abweist, Frau Gasp a ry. Gregor hat lange um ein Gespräch mit ihr ge kämpft, und es ist ihm nicht gelungen. Sie wollte ihn einfach nicht sehen. «
Also wusste sie nichts von dem Treffen am vorletzten Freitag. Ich hätte sie darüber aufklären können, aber ich entschied mich dagegen, so wie ich mich dagegen entschieden hatte, sie in meine wahren Gründe einzuweihen.
A m nächsten Tag trugen wir Gregor zu Grabe. Ich hatte ve r sucht, mich darauf vorzubereiten, mich irgendwie zu wappnen. Ich hatte mir eine Art Ritterrüstung ersehnt, an der alles abpra l len und die mich wie ein Korsett stützen würde. Die Realität sah wie so oft anders aus.
In meiner Vorstellung hatte ich mich vor den Tränen der anderen gefürchtet, hatte geglaubt, ich würde mich in diesen Tränen auflösen. In Wirklichkeit taten sie mir gut. Genauso wie die Verbundenheit mit Gregor, die in jedem Wort, in jeder Geste zum Ausdruck kam.
Nach der einfühlsamen Predigt des Pastors hielt erst Joost eine Rede und dann Claudia. Beide sprachen von einem Freund und Weggefährten, wie sie ihn sich aufrichtiger, unbestechlicher und treuer nicht hätten vorstellen können. Beide sprachen von einem Verlust, der sie voller Trauer zurücklasse. Später bat ich beide um die Texte. In ferner Zukunft würde ich sie Jana vorlesen.
Im Nachhinein erschien es mir wie ein Wunder, dass ich auf dem Weg zu Gregors Grab nicht zusammenbrach. Isa, Claudia, Annette und meine Mutter gingen dicht neben und hinter mir, um zur Stelle zu sein, sollten mir die Knie nachgeben. Ich ging Schritt für Schritt, den Blick auf das kleine Stück Weg vor mir gerichtet, so wie Gregor es mir einmal geraten hatte. Ich hielt seinen An ker fest in meiner Hand und stellte mir das Gesicht meines Mannes vor. Ich spürte die Kraft seines Blickes … immer noch. Mit diesem Blick in meinem Herzen begleitete ich ihn, so weit es ging. Vor seinem Grab blieb ich stehen und stellte mir vor, wie er –losgelöst von seinem Körper –hinter mich treten und seine Arme um mich legen würde. Aufgehoben in dieser Umarmung, sah ich zu, wie der Sarg in die Tiefe gelassen wurde.
Irgendwann waren es andere Arme, die mich hielten. Sie hatten Kraft und stützten mich, als meine Kraft nachließ. Ein Schluchzen löste sich aus meiner Kehle, und ich wünschte mir, meinen Schmerz laut hinauszuschreien. Gleichzeitig hatte ich Angst, mich in einem solchen Schrei zu verlieren.
Während die Menschen an mir vorüberzogen, versank ich in Sprachlosigkeit. Ganz zum Schluss kamen Felicitas Kluge und Kai-Uwe Andres zu mir. Sie sagten etwas, aber mir war, als wären meine Ohren mit Watte verstopft. Ich schüttelte den Kopf und hoffte, dass sie verstanden.
Irgendwann waren alle gegangen. Zurück blieben Gregors und meine Familie, Annette, Joost und Nelli. Zu siebt standen wir vor dem offenen Grab. Gregors Körper in diesem Sarg zu wissen, drohte mir das Herz zu zerreißen. Bis in den letzten Winkel meines Körpers breitete sich ein stechender Schmerz aus. Als ich glaubte, ihn nicht mehr aushalten zu können und ohnmächtig zu werden, erhob sich neben mir eine Stimme von fast unwirklicher Schönheit. Es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, was da erklang: Es war das Ave Maria. Wie in Zeitlupe wandte ich meinen Kopf zur Seite.
Nelli sang mit gesenkten Lidern, durch die sich Tränen ihren Weg bahnten. Nachdem sie geendet hatte, öffnete sie langsam ihre Augen und ließ dann eine weiße Rose, die sie die ganze Zeit über in ihrer Hand gehalten hatte, auf den Sarg fallen.
» Gute Reise, Herr Gaspary «, flüsterte sie.
Z um Glück hatte es nur schwacher Überredungskunst bedurft, um meine Mutter dazu zu bewegen, gleich nach der Beerdigung wieder abzureisen. Isabelle hatte ihr versprochen, noch bis zum nächsten Tag zu bleiben und sich um mich zu kümmern.
» Wenn ich ihren Blick richtig gedeutet habe, dann ist sie der festen Überzeugung, dass es nur noch eine Frage von Tagen ist, bis ich wieder in einer Klinik lande «, sagte ich zu meiner Schwester, nachdem das Taxi, das meine Mutter zum Bahnhof bringen sollte, aus meinem Blickfeld verschwunden war.
» Sie macht sich Sorgen um dich «, versuchte Isabelle, mich zu beschwichtigen.
» Dann soll sie es sagen und nicht so schicksalsschwer gu c ken. « Ich war kurz davor zu platzen und musste mir
Weitere Kostenlose Bücher