Im Antlitz des Herrn
sogenannte wissenschaftliche Laufbahn dir schon? Du verdienst nicht mal genug, um deine Miete zu bezahlen, von den Extravaganzen deiner schönen Frau ganz abgesehen.»
Engel war viel zu perplex, über welch detaillierte Kenntnisse seines Privatlebens Henderson verfügte, um zu antworten. Aber er hatte ja recht. Im Prinzip stand ihm das Wasser bis zum Hals. Schon mehrfach hatte er angesetzt, um Angela klarzumachen, dass sie das Haus aufgeben mussten, ehe es ihnen unter dem Hintern weggepfändet würde. Jedes Mal hatte sie ihn nach den ersten Sätzen unterbrochen.
«Ich will hier leben, an keinem anderen Ort.»
Engel kam es vor, als gäbe es eine Art Subtext zu diesem Satz, der lautete: «Mit dir oder ohne dich - du triffst die Entscheidung.»
Henderson holte ihn aus seinen Gedanken.
«Lass uns vernünftig miteinander reden. Wie hoch ist der Kaufpreis für eure Villa?»
Engel zuckte mit den Schultern.
«Zwei Millionen? Oder drei? Egal. Ich kaufe sie und lasse im Grundbuch deinen Namen eintragen. Und damit du das Leben mit deiner Frau in diesem prachtvollen Haus auch genießen kannst, ernenne ich dich hiermit zum wissenschaftlichen Direktor der Henderson Archeological Foundation mit einem Jahressalär von einer Million britischen Pfund.»
Engel hatte das Gefühl, einen feuerroten Kopf zu bekommen. Ohne nachzudenken, platzte es aus ihm heraus:
«Zwanzig-Jahres-Vertrag mit anschließender garantierter Pensionszahlung in Höhe von siebzig Prozent bis zum Lebensende. Außerdem jährliche Anpassung an die Inflationsrate und ein unbegrenztes Spesenkonto.»
Kaum hatte er es ausgesprochen, wunderte er sich über sich selbst. War er das wirklich? Sollte er sich tatsächlich kaufen lassen? Er wischte den Gedanken beiseite. So eine Chance kam nur einmal im Leben. Außerdem war die HAF eine angesehene Institution, und das Grab, das sie freigelegt hatten, war auf jeden Fall eine archäologische Sensation. Es spielte keine Rolle, ob sich eine Verbindung zu Jesus Christus herstellen ließe. Beweisen würde man einen solchen Zusammenhang nur können, wenn sich eine schriftliche Quelle fände. Das aber war nahezu ausgeschlossen. Allerdings schämte er sich für seinen letzten Satz. Wie konnte er derartig exorbitante Forderungen stellen? Henderson jedoch lachte.
«Ganz schön verwöhnt, ihr deutschen Beamten, aber meinetwegen, so soll es sein.»
Sie besiegelten ihre Vereinbarung per Handschlag, das Schriftliche sollte von Hendersons juristischer Abteilung geregelt werden. Zur Feier ihrer Übereinkunft bestellten sie noch eine Runde, sehr zum Leidwesen des Barmanns.
Sie waren mit sich selbst beschäftigt und merkten nicht, dass seit einer halben Stunde jemand in einer dunklen Ecke der Bar saß, der sich jetzt erhob, ein Handy aus der Tasche zog und zum Ausgang ging.
***
Es war kurz vor Mitternacht, als John di Lucca in seinem Hotelzimmer den Telefonhörer in die Hand nahm. Er hatte eine Stunde im Sessel gesessen und durch das bis zum Boden reichende Fenster auf die hell erleuchteten Türme des Doms geschaut. Der Bischof hatte ihn zu einem Abendessen eingeladen, was er dankend abgelehnt hatte. Er brauchte Zeit, das Gespräch Revue passieren zu lassen. Thomas Engel war intelligenter, als er dachte. Er gehörte nicht zu den einfältigen Dorfpfarrern, eher wirkte er wie ein Intellektueller, der zufällig Pfarrer geworden war. Der Bischof hatte ihm von seinem gerade abgeschlossenen Studium berichtet, er war also auf der Höhe der Zeit, was die theologische Debatte anging. Das konnte von Vorteil sein, weil er mit seinem Bruder auf Augenhöhe diskutieren konnte. Andererseits bestand die Gefahr, dass er die möglichen Erkenntnisse der Henderson-Ausgrabung als geistige Herausforderung begreifen könnte. Das wäre keine gute Voraussetzung, ihn gegebenenfalls als Werkzeug gegen seinen Bruder zu gebrauchen.
John wählte die Nummer aus dem Gedächtnis und lauschte dem Freizeichen.
«Pronto», meldete sich nach kurzer Zeit die vertraute Stimme William Legados. Di Lucca berichtete in knappen, überlegten Worten von seinem Gespräch mit Thomas Engel. Er wollte Legado genau in Kenntnis setzen ‒ die weitreichenden Entscheidungen, die nötig sein würden, konnte er auf keinen Fall allein treffen.
«Und», fragte Legado, «wird er uns die Informationen liefern?»
«Ich bin nicht sicher. Wenn es ernst wird, können wir wohl eher nicht auf ihn zählen. Gibt es Neuigkeiten von unserer indischen Quelle?»
Legado schwieg einen Moment
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