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Im Antlitz des Herrn

Im Antlitz des Herrn

Titel: Im Antlitz des Herrn
Autoren: Béla Bolten
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Nachteil beider Thesen ist zwar, dass sie durch keinerlei Quellen gestützt werden, darum scherte sich die offizielle Theologie aber nicht. Die Propagandamaschinerie der Kirche schaffte es vielmehr, die Geschwister Jesu aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden zu lassen.
    Seinem Buch hatte die Debatte genutzt, es hielt sich viele Wochen auf der Bestsellerliste. Sein Leben allerdings wirbelte die Popularität völlig durcheinander. Es gab anonyme Anrufe und Drohbriefe, die von der Polizei ernst genug genommen wurden, um Personenschutz für ihn, Angela und Hannah zu rechtfertigen. Es dauerte fast ein Jahr, ehe sich die Situation beruhigte. Die offizielle theologische Zunft mied Engel fortan wie den Leibhaftigen. War er früher zu Symposien und Tagungen wenigstens als Zuhörer eingeladen worden, ging man ihm nun aus dem Weg. Mehr noch, man versuchte, ihn als Scharlatan hinzustellen, dem weniger an seriöser Wissenschaft denn an Medienaufmerksamkeit gelegen war. In kirchennahen Kreisen hatte man damit Erfolg, in seinem Fachbereich schadete ihm diese Kampagne weniger, als sie ihm nützte. Henderson bewunderte ihn nicht zuletzt, weil er, wie er sich ausdrückte, «dem Traditionsverein in Rom mal so richtig einheizte.»
    Als das Flugzeug zum Landeanflug auf London ansetzte und die Anschnallzeichen leuchteten, kam Engel ein Gedanke. Was würde passieren, wenn er tatsächlich beweisen könnte, dass es sich bei den Gebeinen aus dem versteckten Ossuarium um die Überreste desjenigen Jeus handelte, den die Christen als Gottes Sohn verehren? Er musste unbedingt noch einmal mit Angela reden. Vielleicht wäre es besser, die Polizei hinzuzuziehen. Er verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Sie würden ihm ohnehin nicht glauben. Schließlich war Jesus von den Toten auferstanden, das wusste doch jedes Kind.
     
    ***
     
    John di Lucca genehmigte sich bereits den dritten Espresso, was für diese frühe Stunde ungewöhnlich war. Er saß in seinem Büro im dritten Stock des Palazzo del Sant’Uffizio und starrte auf den Flachbildschirm. Die eingegangene E-Mail bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Durch das Koffein beflügelt, arbeitete sein Hirn so konzentriert an einem Plan zur Lösung dieser existenziellen Krise, dass er seinen Gast nicht eintreten hörte.
    «Guten Morgen, John.»
    William Legado steuerte direkt auf den Besucherstuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches zu.
    «Was gibt es Spannendes, dass Sie sich derart in den Inhalt dieses neumodischen Kastens dort vertiefen?»
    Für einen Moment erschien es di Lucca, als würde sich die Situation entspannen. In der Bemerkung des Bischofs offenbarte sich die wahre Kirchenspaltung, dachte er lächelnd. Während der eine, immer kleiner werdende Teil der gehobenen Kurienmitarbeiter mit den modernen Informationstechnologien nichts anzufangen wusste, sorgte der andere, stetig wachsende Teil dafür, dass der Vatikan über eine der modernsten Administrationen der Welt verfügte. Di Lucca drehte den Bildschirm zur Seite, damit er nicht zwischen ihm und dem Bischof stand.
    «Es ist noch viel schlimmer als gedacht. Wie vermutet, haben sie ein Grab gefunden mit insgesamt elf Gebeinkästen. Einer dieser Ossuarien muss sich in einer exponierten Lage befunden haben und die Aufschrift ‹Jesus, Josefs Sohn› tragen. Außerdem berichtet Thomas Engel, dieser Dorfpfarrer und Bruder des wissenschaftlichen Leiters der Operation, dass sich in diesem Ossuarium ein gut erhaltenes menschliches Skelett befand.»
    Di Lucca hatte sich bemüht, diesen Satz sachlich, fast beiläufig vorzutragen. Sobald er ihn beendet hatte, sah er, welch verheerende Wirkung er bei Legado hatte. Aus dem normalerweise gut durchbluteten Gesicht des Bischofs wich in Bruchteilen einer Sekunde jede Farbe. Er war leichenblass und rang mit geöffnetem Mund nach Luft. Seine Hände klammerten sich derart krampfhaft um die Stuhllehne, dass die Knöchel weiß hervortraten.
    «William, ist dir nicht gut? Soll ich dir etwas zu trinken holen?»
    Legado atmete zweimal tief ein, eher er mit tonloser Stimme antwortete:
    «Wie soll es mir gut gehen bei dieser Nachricht?»
    Langsam löste er die Hände von der Lehne und bedeckte sein Gesicht. Ohne sie herunterzunehmen, sprach er weiter:
    «Ich befürchte schon lange, dass einmal das Grab irgendeines Jesus auftaucht, der als Sohn einer Maria oder eines Josefs bezeichnet wird.»
    Er nahm die Hände von seinem Gesicht und sah di Lucca an.
    «Das wäre nicht schön, aber keine
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