Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Weingärten und Jothams Schiffen können wir uns dann das Monopol auf den Weinhandel von hier bis zum Oberlauf des Nils sichern.
Während sie eine einzelne Locke, die sich aus dem dichten Haar der Enkelin verselbständigt hatte, zurück unter Leahs Schleier schob, sagte sie: »Ich habe den ehrenwerten Jotham wissen lassen, dass deine Mutter siebenmal empfangen hat – und dass sie jetzt sogar zum achten Mal guter Hoffnung ist. Das wird ihm verraten, dass unsere Frauen fruchtbar sind.« Avigail hatte nicht erwähnt, dass aus Hannahs sämtlichen Schwangerschaften Mädchen hervorgegangen waren, von denen lediglich drei das Säuglingsalter überlebt hatten. Sie warf ihrer Schwiegertochter, die wegen ihrer Schwangerschaft in einem bequemen Sessel saß, einen Blick zu. Alle hofften, dass es diesmal ein Sohn würde.
Leah, die der Fürsorge der Großmutter allmählich überdrüssig wurde, biss sich auf die Lippen. In das Gefühlschaos, das ihr das Herz bis zum Halse klopfen ließ, mischte sich Beklemmung. Sie wusste, wie sich Männer und Frauen verhielten und was hinter Schlafzimmertüren vor sich ging. Und sie schwor sich, eine gute, gehorsame Ehefrau zu sein und ihr Bestes zu geben, um Söhne zu gebären. Dies war nicht nur zum Wohle der Familie von Bedeutung, sondern für Leah selbst. Kanaanäische Frauen wurden nämlich nicht mit ihrem eigenen Namen angesprochen, sondern mit dem ihres männlichen Beschützers. Leah kannte man als »Bat Elias«, Tochter des Elias. Wenn heute alles nach Wunsch verlief, würde sie »Isha Jotham« heißen, Ehefrau von Jotham. Und mit der Geburt ihres ersten Sohnes würde ihr der ehrenwerte Titel »Em« verliehen werden, was »Mutter von« bedeutete. Mit Frauen, die nicht wenigstens einen Sohn zur Welt gebracht hatten, empfand man Mitleid, erfuhr ihr Status doch keine zusätzliche Aufwertung; sie wurden weiterhin lediglich als Ehefrau bezeichnet, ungeachtet dessen, wie viele Töchter sie hatten.
»Ich erinnere mich noch gut«, sagte Avigail und nahm erneut einen Schluck von dem kräftigen Rotwein, »wie es war, als mein Yosep kam, um mich zu begutachten. Weil es noch weitere junge Mädchen aus anderen Familien gab, die er in die engere Wahl gezogen hatte, ließ er sich bei mir viel Zeit. Als er mich ganz frech in den Hintern kniff, so als erwäge er den Kauf eines Fettsteißschafs, quietschte ich auf. Ich glaube, genau das war es, weshalb er sich für mich entschied. Wir waren dreißig Jahre lang verheiratet, und er nahm sich lediglich zwei Konkubinen. Möge er in der Glückseligkeit der Götter ruhen.«
Avigail seufzte und dachte zurück an den langen Weg, den sie in diesen letzten vierzig Jahren seit ihrer Flucht aus Jericho zurückgelegt hatte.
Nach einer beschwerlichen, von Not und Rückschlägen gezeichneten Wanderung hatten sie nach vielen Monaten die Stadt Ugarit erreicht und bei Verwandten Aufnahme gefunden. Dort hatten sie erfahren, dass die Ägypter mittlerweile die Leichen aller hingemetzelten Kanaaniter eingesammelt und auf einem mächtigen Scheiterhaufen verbrannt hatten. Es hieß, der Qualm sei bis nach Jerusalem zu sehen gewesen. Sie erfuhren, dass auch Benjamin und seine Familie erschlagen worden waren. Ägypter wären in die Häuser der Reichen eingezogen und hätten alles an kanaanäischen Töpfereien, Möbeln und Göttern gegen ihre eigenen Töpfereien, Möbel und Götter ausgetauscht. Dem König von Jericho habe man gestattet, auf dem Thron zu bleiben, er sei jedoch ab sofort lediglich eine Art Aushängeschild, während die Regierung Jerichos und der umliegenden Distrikte von Vertretern des Pharaos übernommen worden sei.
Zwei Jahre später hatte die achtzehnjährige Avigail die Aufmerksamkeit eines wohlhabenden Winzers namens Yosep geweckt. Obwohl sie mittellos war, wollte er sie unbedingt heiraten. Gewiss, sie war arm, aber sie besaß etwas ungemein Wertvolles: In ihren Adern floss königliches Blut. Die Kunde, dass Avigail von Ozzediah, einem beliebten König von Ugarit, abstammte, machte sie als Ehefrau umso begehrenswerter. Nach der Hochzeit führte Yosep sie heim in diese Villa hier, am Ausläufer der Berge gelegen und von üppigen grünen Weinbergen umstanden. Damals hatte Avigail gespürt, dass sie hier, in ihrem neuen Zuhause, Wurzeln schlagen würde, und sich geschworen, nie wieder von hier wegzugehen.
Mit gerunzelter Stirn nahm sie ihre Enkelin in Augenschein. »Deine Hüften sind erbärmlich schmal, Leah. Tamar, Liebes, reich mir mal den Schleier dort
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