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Im Augenblick der Angst

Im Augenblick der Angst

Titel: Im Augenblick der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Sakey
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seinen Augen. »Von Beruf ist sie Köchin. Und ihr größter Traum ist, ein Restaurant namens ›Gloom‹ zu eröffnen, wo alle Kellner schwarzen Lidschatten tragen müssen. Und auf der Speisekarte stehen nur Zigaretten, Rotwein und frisch geschlachtete Ferkel.«
    Tom lachte. »Was ist mit ihm?« Ein unglaublich fetter Mann, der seinen beträchtlichen Körperumfang in ein Chicago-Bulls-Shirt gezwängt hatte.
    »Dreißig Zentimeter langer Schwanz. Seine Gespielinnen müssen ihn Steel Blue Johnson nennen. Tom, was wenn das Ergebnis negativ ist?«
    Er sah sie an, seine Ehefrau, die Frau, die er seit Menschengedenken kannte. Der Wind wehte ihr die kastanienbraunen Locken ums Gesicht und sie strich sie sich immer wieder aus der Stirn. »Es wird nicht negativ sein.«
    »Aber wenn doch?«
    »Dann versuchen wir es nochmal.«
    Sie stieß ein undefinierbares Geräusch aus, jedenfalls kein Lachen. »Die Schulden stehen uns bis zum Hals.«
    »Jedem stehen die Schulden bis zum Hals. Das ist normal.«
    »Ja, aber nicht jeder verschleudert fünfzehn Riesen pro Versuch auf IVF.«
    Er nahm einen Schluck kalten Kaffee. Und schwieg.
    »Diese ganze viele Zeit. Ständig zum Arzt, tausend Spritzen. Und mein Gott, das ganze Geld!« Anna schüttelte den Kopf. »Wenn es wieder negativ ist, war alles umsonst.« Sie zog die Augen zusammen. Tom folgte ihrem Blick zu einer Frau, die ein kleines Mädchen an der Hand führte. Das Haar des Mädchens war so blond, dass es fast schon weiß wirkte, und noch dazu trug sie ein gepunktetes Sommerkleid. Zusammen wirkten die beiden wie für eine Glückwunschkarte gecastet. Schwache Krähenfüße bildeten sich um Annas Augen, als sie Mutter und Tochter anstarrte. Seit wann hatte sie die denn? »Umsonst«, wiederholte sie.
    Umsonst , dachte er und wusste, dass sie Recht hatte. Was andere so mühelos, so selbstverständlich bewältigten, war für sie mit einer langen Liste an Kosten verbunden. Und dabei ging es nicht nur ums Geld. Am Anfang hatte es sogar Spaß gemacht – der Versuch, ein Kind zu kriegen, hatte ihrem Sex neues Feuer verliehen. Als nach einiger Zeit immer noch nichts passiert war, tauchten die Kalender und Thermometer auf. Drei Tage im Monat verwandelten sich in einen einzigen Fick-Marathon. Tom kam sich inzwischen vor wie ein fleischgewordener Bohrturm, der bis in alle Ewigkeit lustlos vor sich hin pumpen musste. Den restlichen Monat hatte es dann einfach keinen Sinn mehr, sich noch damit abzumühen. Und bald schlichen sich die Akronyme in ihren Alltag ein.
    Irgendwo auf diesem langen Weg hatte sich etwas zwischen ihnen verändert. Tom liebte Anna, und er wusste, dass auch sie ihn noch immer liebte. Aber heute wirkte diese Liebe eher wie eine Gewohnheit, wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit.
    »Es wird schon gutgehen«, sagte Tom mit gespielter Überzeugung. »Alles wird gut.«
    Anna neigte den Kopf und blickte ihm in die Augen. Ein langer Moment verstrich, ehe sie sich wieder dem Park zuwandte. Sie warteten. Schließlich deutete Anna auf die Zeitanzeige auf ihrem Handy: 11:58. »Ich hab Angst«, sagte sie.
    »Soll ich?«
    Sie atmete tief ein und schüttelte den Kopf. »Weihnachten.« Bevor Tom fragen konnte, was sie damit meinte, hatte sie schon gewählt. Er fühlte die kühlen Steinstufen durch die dünne Sommerhose, spürte seinen hämmernden Puls, während Anna der Krankenschwester ihren Namen nannte. Danach verstummte sie, offenbar in der Warteschleife gefangen. Ihre Blicke trafen sich. Sie wussten, dass sie beide dasselbe dachten. All ihre Hoffnung konzentrierte sich auf den einen, entscheidenden Satz.
    Von weither hörte Tom, wie die Krankenschwester den Hörer in die Hand nahm und etwas sagte. Die Worte verstand er nicht, doch er registrierte den Tonfall und vor allem Annas Gesicht, die Art, wie sie in sich zusammensackte, wie alles, was sie eben noch aufrecht gehalten hatte, wegbrach. Als seine Frau zu schluchzen begann, fügte Tom Reed seiner persönlichen Liste von Akronymen einen weiteren Eintrag hinzu.
    GAU. Größter Anzunehmender Unfall.
     

3
     
    Ach Liebling«, seufzte Sara. »Das tut mir so leid.« Annas jüngere Schwester war immer die Coole gewesen, die Rebellin, die in Afterhour-Clubs feierte und mit Schauspielern abhing. Aber jetzt hatte sie den mütterlichen Tonfall gepachtet.
    Tja, vielleicht weil sie tatsächlich Mutter ist , dachte Anna und fügte sofort hinzu: Hör auf!
    »Was willst du jetzt machen?«
    Anna schüttelte den Kopf. »Ich weiß

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