Im Bann der Gefuehle
versperrte.
„Natürlich habe ich nichts anderes erwartet. Armer Alessandro! Was hat er denn für eine Wahl gehabt? Dieses Mädchen ist schließlich die Mutter seines Kindes. Und jetzt muss er eben die Konsequenzen tragen.“
Von Schwindel und Übelkeit geplagt, griff Carys nach einer Türklinke neben sich, um Halt zu finden. Sie schaffte es nicht, sich unauffällig zu entfernen, und so war sie gezwungen, Livias giftigem Tonfall weiter zu lauschen.
„Sie hat keine Herkunft, keine Klasse und keine Ahnung davon, wie man sich benimmt. Ich kann mir kaum vorstellen, wie sie jemals ihren Verpflichtungen als contessa nachkommen will. Gott sei Dank bin ich im Lande, um das Benefiz-Galadiner in die eigene Hand zu nehmen.“ Sie schüttelte ihr perfekt frisiertes Haupt. „Er hat mich gebeten einzuspringen und als Gastgeberin zu fungieren. Hat mich buchstäblich angefleht. Da konnte ich ihn doch nicht enttäuschen. Wir wissen beide, dass seine Frau es nur ruinieren würde. Und unser guter Name ist zu wertvoll, um ins Lächerliche gezogen zu werden.“
Endlich schaffte es Carys, sich wieder aufzurichten und sich den Frauen zu nähern. Sie hatte genug gehört.
„Nachdem Ihnen der Ruf Ihrer Familie so wichtig ist, erstaunt es mich schon sehr, dass Sie Ihr Bestes tun, um ihn mit Dreck zu bewerfen.“ Trotz ihrer Aufregung gelang es ihr, kühl und souverän zu klingen. Sie betonte jede einzelne Silbe laut und deutlich. Ihr italienischer Privatlehrer wäre stolz auf sie gewesen.
Erstaunlich, wie viel Energie man aus Wut und einem Schock ziehen konnte. Vor allem, nachdem sie am liebsten vor Übelkeit zusammengebrochen wäre. Stattdessen stand sie kerzengerade in ihren neuen Kleidern, den hochhackigen Stiefeln da und hatte das Kinn leicht angehoben. Sie war ebenso elegant und schick wie Alessandros Stiefmutter.
Auf dem Absatz wirbelte Livia herum, und unter ihrer dicken Make-up-Schicht zeichneten sich ganz sachte hektische rote Flecken ab.
Seelenruhig musterte Carys die Frau, die versucht hatte, ihre Liebesbeziehung zu Alessandro zu zerstören. Die mit dafür verantwortlich war, dass Leo seinen Vater erst jetzt kennenlernen durfte. Und zum ersten Mal durchschaute sie die zwanghaft kultivierte Fassade und entdeckte dahinter reine Gier und Unzufriedenheit.
„Jedermann muss doch den Eindruck gewinnen, Sie verfolgen lediglich ein persönliches Interesse“, fuhr Carys fort und hörte, wie die anwesenden Damen tief Luft holten. „Dass es Sie aus der Fassung bringt, Ihre gesellschaftliche Stellung an Alessandros Ehefrau abgeben zu müssen.“ Diesen Kommentar ließ sie kurz sacken. „Dass Sie ein Problem damit haben, durch eine jüngere Frau abgelöst und ersetzt zu werden.“
Livias weit aufgerissene Augen und das kurze, unterdrückte Kichern der anderen Zuhörerinnen verrieten Carys, wie recht sie hatte.
Am liebsten hätte sie Livia noch mit ihren Lügen und Intrigen konfrontiert, aber sie widerstand dem Impuls, um die Gerüchteküche nicht noch weiter anzufeuern. Denn das hätte wirklich keinen Stil. Stattdessen verzog sie den Mund zu einem schmallippigen Lächeln. „Aber wir beide wissen ja, wie die Dinge wirklich liegen, nicht wahr?“
Wie ein Fisch öffnete die ältere Frau den Mund und schloss ihn gleich wieder. Dann nickte sie stumm.
„Und was mein Wohltätigkeitsdiner angeht“, fuhr Carys in scharfem Ton fort, „hat es da scheinbar ein Missverständnis in Bezug auf die Planung gegeben. Ich sorge dafür, dass es richtiggestellt wird, und werde Ihnen eine Einladung zukommen lassen, Livia. Hoffentlich beehren uns Ihre Freundinnen ebenfalls.“
Nur nebenbei nahm Carys das zustimmende Gemurmel der anderen Damen auf, die allesamt plötzlich kleiner und unsicherer wirkten als noch vor wenigen Minuten. Aber Carys verspürte kein Gefühl des Triumphs, sondern nur eine schmerzhafte Leere in ihrer Brust.
„Ich muss gehen, aber ich werde mit Alessandro sprechen und vorschlagen, dich bald mal zu uns zum Essen einzuladen. Ciao, Livia.“ Diese informelle Anrede hatte Carys ganz bewusst als letzte kleine Demütigung gewählt. Sie verabschiedete sich von den anwesenden Damen und rauschte hocherhobenen Hauptes aus dem Hotel.
Erst später in der Limousine begann Carys, vor Aufregung am ganzen Körper zu zittern. Und sie wollte nicht daran glauben, dass Alessandro ihr die Rolle der Gastgeberin nicht zutraute. Livia log – schon wieder. Oder hatte er Carys etwa nur sein Vertrauen geschenkt, um die Dinge zwischen ihnen
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