Im Bann der Versuchung
Mit viel Einsatz von Zeit und Geld hatte sie versucht, das, was sich hier gerade ereignet hatte, zu verhindern. Sgeir Caran würde nie wieder so sein, wie es war. Die Sprengungen würden das Riff für immer verändern, ihm seine Seele, die über ewige Zeiten bewahrte Vollkommenheit nehmen. Bekümmert verfolgte sie die dunkle Wolke von Vögeln, die verschreckt vom Felsen aufgeflogen waren.
Wieder schleuderte eine gigantische Eruption die Gesteinsmassen in den Himmel, wieder jubelten und klatschten die Leute in den Booten. Einige der Inselbewohner hatten schon den ganzen Morgen lang die Explosionen auf dem Fels verfolgt. Fasziniert von den gigantischen Staubwolken und den Leuchtsignalen am wolkenlosen Himmel hatten sie Hummerkörbe, Netze und sonstige Arbeiten völlig vergessen.
Für Margaret war ein Feuerwerk nichts Neues; sie hatte diese Art der Unterhaltung in Edinburgh, London und Paris gesehen. Aber sie konnte gut verstehen, dass dies Spektakel für die Inselbewohner aufregend war. Dennoch machte es sie unendlich traurig, die Leute so dabei zu beobachten. War nicht die unberührte Natur viel schöner als alle von Menschen produzierten Feuerwerke und Sprengungen?
Margaret wünschte, dass der Fels für immer und ewig unverändert so stehen blieb. Sgeir Caran war ein mystischer, allgewaltiger Ort - und er besaß für sie eine besondere Bedeutung.
Aber im Leben veränderte sich immer wieder alles, und all zu oft entschwanden mit dem Morgengrauen auch die schönsten Träume. Diese Lektion hatte sie schon früh gelernt.
Es fiel ein leichter, warmer Sprühregen, als Dougal die wenigen Granitstufen zum Eingang von Clachan Mor hinaufstieg. Er klopfte. Nur aus purer Höflichkeit hatte er zu dem grauen Mantel einen Bowler aufgesetzt, denn eigentlich hasste er es, einen Hut zu tragen.
Nach einer Weile tat sich die Tür auf. Eine große, schlanke Frau in schwarzem Kleid mit weißer Schürze und Spitzenhäubchen baute sich vor ihm auf.
Hager und ernst war die Frau, ein strenger Drachen, trotz des schönen silbergrauen Haars, das unter dem Häubchen hervorblitzte. Aus stahlgrauen Augen musterte sie ihn von oben bis unten.
Dougal lächelte verbindlich. „Guten Tag. Ist Lady Strathlin zu Hause?"
„Wer sind Sie?" fragte sie barsch.
„Mr. Dougal Stewart, leitender Ingenieur am Caran-Leuchtturm, möchte Lady Strathlin seine Aufwartung machen." Er versuchte, an der Frau vorbei in die dunkle Eingangshalle zu schauen, da er dort eine leichte Bewegung bemerkt hatte. Er konnte den Glanz von poliertem Holz, das Leuchten von Messing und Kristall, die gedämpften Farben von türkischen Teppichen und Polstermöbeln erkennen. Hinter einer halb offenen Tür am anderen Ende der Halle konnte er gerade noch eine Bücherwand sehen, bevor schnell die Tür zugeschlagen wurde.
„Lady Strathlin ist zurzeit nicht im Haus, Sir. Ihre Karte?"
Karte? Verdammt! Die hatte er vergessen. Nach Karten wurde selten gefragt, wenn man Steine brach oder Schwarzpulver-Sprengladungen legte. Manchmal hatte er nicht einmal ein Jackett und einen Hut im Gepäck. Er klopfte auf seine Jackentasche, brachte einen Bleistiftstummel und ein kleines Notizbuch zum Vorschein und schrieb: Dougal Robertson Stewart, Kinnard Castle, Strathclyde, zur zeit Innish Bay, Caransay. Die Seite riss er heraus und reichte den Zettel der Haushälterin.
Mit spitzen Fingern nahm sie das Blatt entgegen und trat zurück. „Lady Strathlin wird informiert. Guten Tag, Sir." Dann fiel die Tür mit einem kräftigen Schlag ins Schloss.
Dougal stand im Nieselregen auf der Treppe. Zu spät fiel ihm ein, dass Lady Strathlin eine derartige Bleistiftnotiz wohl für
äußerst rüde halten und ihm wegen seiner schlechten Manieren einen Besuch gänzlich verweigern würde.
Seufzend ging er davon.
Als Norrie näher an Sgeir Caran heranruderte, entdeckte Margaret einen Kai an einer Stelle, wo vorher nie einer gewesen war. Vermutlich war der breite Felsvorsprung durch die Sprengungen i a den letzten Tagen entstanden. Als sie den hohen Fels hinauf schaute, sah sie, dass neben dem Hang, der immer als natürlicher Zugang zum Plateau gedient hatte, grobe Stufen in den Stein ge hauen waren.
Der Vormann Alan Clarke erwartete sie am Kai, um Margaret aus dem Boot zu helfen. Vorsichtig sah sie zum Fels hinauf. Dougal war nicht bei den Männern, die am Rand des Plateaus standen.
„Hallo, Miss MacNeill! Willkommen! Sie auch, Mr. MacNeill. Mr. Stewart hat uns gesagt, dass Sie vielleicht kommen
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