Im Bann der Wasserfee
ihm, es dennoch zu vernehmen. Ragnar bemühte sich, sein Gesicht ausdruckslos zu halten, während in ihm die Gefühle tobten. Würden die Männer wirklich einen Boten schicken, wäre er bald einen Kopf kürzer oder zumindest im Kerker. Es sei denn, ihm gelänge die Flucht aus der Stadt.
Der andere Wächter, ein Bärtiger, winkte ab. »Wenn wir das bei jedem tun würden, hätten wir viel zu tun. Gradlon lässt uns einen Kopf kürzer machen, wenn wir unnütz Gelder ausgeben.«
»Ja, aber es ist unsere Aufgabe, Gefahren von der Stadt abwenden.«
»Was sollen zwei Mann für eine Gefahr darstellen?«
»Auch wieder wahr. Der eine ist so dürr, dass der nächste Wind ihn wegweht. Aber sieht der Große nicht ein wenig barbarisch aus?«
Der Mann zwirbelte seinen Oberlippenbart. »Alle in Gwynedd sehen barbarisch aus. Das spricht eher für seine Behauptung. Zudem ist sein Gewand von ausgesuchter Güte. Ich glaube nicht, dass er hier in der Gegend jemanden seiner Größe gefunden haben könnte, um sich eines zu rauben. Das ist eine Maßanfertigung. Lassen wir diese Spekulationen lieber, bevor wir den Zorn eines Verwandten Cuneddas auf uns ziehen.« Er flüsterte ebenfalls. Nur aufgrund seines besonderen Gehörs konnte Ragnar die nicht für seine Ohren bestimmten Worte vernehmen.
Der hochgewachsene Wächter hob die Achseln. »Also gut. Ich lasse ihnen Räume im Hauptpalast zuweisen. Die meisten davon verstauben ohnehin.«
Ragnar atmete auf, doch würde er den einen Wächter im Auge behalten müssen. Keineswegs durfte er dessen Misstrauen nähren, sonst konnte dieser immer noch einen Boten schicken. Dies musste er auf jeden Fall verhindern.
Die Wächter verkündeten die Entscheidung und ließen nach einem Palastdiener schicken. Dieser führte sie zu ihren Gemächern im Seitenflügel des Palastes.
»Der Raum für den Diener ist an Euer Gemach angeschlossen. Es gibt eine Verbindungstür, damit Ihr ihn jederzeit rufen könnt«, sagte der Palastdiener.
Ragnar bedankte sich. Als der Mann gegangen war, ließ Ragnar seinen Blick durch den Raum gleiten. Er war auf römische Art eingerichtet. Es gab das typische hohe Bett, das man nur mithilfe eines Hockers erreichen konnte, mehrere Stühle mit Armstützen, aber ohne Rückenlehnen, Schränke, einen Tisch und zwei Beistelltische.
»Ich ziehe mich ein wenig zurück«, sagte Dylan, der durch die Verbindungstür in sein Gemach wollte.
»Das wirst du nicht. Du kommst mit mir.«
»Was hast du vor?«
»Das wirst du schon sehen.«
Sie verließen den Raum.
»Ihre Mutter war eine Hure. Kein Wunder, dass Gradlon die nicht geheiratet hat«, sagte eine Frau an einem Marktstand von Ys leise. Gradlons uneheliche Tochter Dahut schätzte sie auf Anfang bis Mitte dreißig.
Die Begleiterin der Frau beugte sich vor. »Warum hat Gradlon sie dann als seine Tochter angenommen? Er hätte ihre Mutter verstoßen und das Kind aussetzen können.«
Dahut duckte sich noch tiefer hinter den Busch. Am liebsten würde sie im Erdboden versinken vor Scham und Schmerz. Sie sprachen von ihrer Mutter und ihr. Der einzige Wert von Töchtern bestand in ihrem politischen Nutzen, also Heiraten, um Einfluss, Beziehungen und Geld zu vermehren und Bündnisse zu knüpfen.
Die erste Sprecherin schüttelte den Kopf. »Diese Blöße konnte er sich nicht erlauben. Er war dieser rothaarigen Hexe verfallen.«
Ihre Gesprächspartnerin hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Gradlon ist doch sonst so hart.«
» Das war er einmal. Diese Frau hat ihm seinen Verstand genommen. Er ist alt und schwach geworden. Sie brachte ihn zu Fall. Zudem sagt man ihr nach, eine böse Zauberin gewesen zu sein. Darum hat er sie kurz nach der Geburt seines Balges töten lassen, denn den Gerüchten, dass sie an der Geburt gestorben sei, schenke ich keinen Glauben. Wer weiß, ob die Tochter überhaupt von ihm ist. Aber das ist nicht wichtig, sie ist ja doch nur ein Weib. Zum Glück gibt es den jungen Kronprinzen Salomon. Ich verstehe nur nicht, warum er und die Königin nicht hier beim König leben.«
»Die Königin verträgt das Wetter hier am Meer nicht. Wegen des rauen Windes.«
»Ach Unsinn. Sie hat Angst vor dem Meer.«
Dahuts Herz schlug schneller. Lag ein Funken Wahrheit in diesen Gerüchten? Hatte Gradlon das Leben ihrer Mutter auf dem Gewissen und war diese so böse gewesen, wie man es ihr nachsagte? Es war schmerzlich, so gut wie nichts über die eigene Mutter zu wissen.
Dahut zog sich langsam zurück. Sie zog die Kapuze ihres
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