Im Bann des blauen Feuers
Ich …“
Sie hörte jemanden leise lachen. Logisch. Ein Typ wie Philippe war nie allein unterwegs. Männer und Frauen umflatterten ihn wie Motten das Licht. Die einen in der Hoffnung, dass ein wenig von seinem Glanz auf sie abfärben würde, die anderen, weil sie – ähnlich wie Céleste – absolut hoffnungslos in ihn verschossen waren.
Sie hielt die Luft an, in dem Glauben, sich so ein wenig beruhigen zu können. Ihre Wangen brannten wie Feuer. Die ganze Situation war einfach nur absurd. Vor weniger als einer Minute war sie nach der Begegnung mit Ash aus der Damentoilette geflüchtet, und jetzt konnte sie an nichts anderes denken als daran, was für einen Eindruck Philippe nun von ihr haben musste.
Grotesk!
„Schon gut“, sagte er mit einem Lächeln, das ihr Herz gleich wieder höherschlagen ließ. „Sag mal, du sitzt doch neben mir im Kurs von Professor LeBlanc, oder?“
Dass er sie überhaupt bemerkt hatte, wunderte Céleste. Sie gehörte nicht gerade zu den Partygängern der Uni, während Philippe zu allen Feiern und Veranstaltungen eingeladen wurde. Außerdem himmelten ihn alle Mädchen an, sodass sie bisher davon überzeugt gewesen war, völlig unsichtbar für ihn zu sein.
Sie nickte hastig. „Ja, stimmt.“
„Das Referat über die Eliminierungsreaktion, das du vor anderthalb Wochen gehalten hast, war wirklich sensationell.“ Er lächelte schief. „Ich glaube, dank dir habe ich zum ersten Mal verstanden, um was es dabei eigentlich geht.“
„Echt?“ Céleste brauchte einen Moment, um zu begreifen, was hier gerade passierte. Er erinnerte sich an sie, und er fand ihr Referat gut? Das wurde ja immer besser!
„Sicher – warum sollte ich lügen? Hör zu, ich arbeite gerade an meinem eigenen Referat, das ich nächste Woche halten soll, aber ich komme nicht so richtig weiter. Meinst du, du könntest mir vielleicht ein paar Tipps geben oder so? Wenn du nichts vorhast, würde ich dich gern für heute Abend zum Essen einladen. Ich kenne da einen echt guten Italiener. Wir könnten uns dabei über mein Referat unterhalten und … na ja, über was man halt sonst so redet bei einem Date.“
Date? Du lieber Himmel, ein Date mit Philippe Boulez! Céleste konnte es kaum fassen. Das alles war so aufregend!
Als ihr in dem Moment klar wurde, dass sie tatsächlich vergessen hatte, was mit ihrer Kommilitonin geschehen war, schämte sie sich. Madeleine war tot. Von einem Verrückten grausam zu Tode gefoltert worden. Und was tat sie hier? Ging einfach zur Tagesordnung über, so als sei überhaupt nichts passiert!
Nein, so ganz stimmte das auch nicht. Aber die Sache mit Ash hatte sie einfach derart aus dem Konzept gebracht, dass sie für eine Weile an nichts anderes denken konnte. Jetzt aber kam ihr die Begegnung mit ihm auf der Damentoilette schon wieder ganz unwirklich vor.
„Céleste? Alles okay? Du siehst plötzlich so blass aus. Stimmt was nicht?“
„Ähm … ja“, sagte sie, schüttelte aber sofort wieder den Kopf. „Ich meine, nein, es ist alles in Ordnung. Klar, wir können gern heute Abend zusammen essen gehen. Eigentlich müsste ich arbeiten, aber das kriege ich geklärt.“
Philippes Lächeln ließ die Sonne aufgehen. „ Merveilleux! Ich hole dich dann ab – sagen wir, so um sieben?“
Céleste nickte. Und erst, als er mit seinen Freunden längst am Ende des Korridors verschwunden war, fragte sie sich, ob er überhaupt wusste, wo sie wohnte.
Das zarte Rosé des Abendhimmels spiegelte sich in den verglasten Fassaden der riesigen Hochhäuser des Vororts La Défense wider. Fasziniert betrachteten die Passanten das Spiel von Licht und Farben – doch niemand bemerkte die schwarz gekleidete Gestalt, die sich hoch über ihren Köpfen auf dem Dach des Tour Cœur-Défense befand.
Eigentlich war das Dach des Hochhausturms, der zu den größten von ganz Paris zählte, nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Doch dem geheimnisvollen Mieter der Penthousewohnung, den niemand je zu Gesicht bekommen hatte, war es gelungen, eine Ausnahmegenehmigung für sich zu erwirken.
Es wurde gemunkelt, dass es sich bei dem so auf seine Privatsphäre bedachten Mann um einen arabischen Scheich oder einen amerikanischen Filmstar handelte. Die meisten dieser Leute, die sich darüber den Kopf zerbrachen, wären wohl enttäuscht gewesen, einen jungen Mann – allerhöchstens Anfang zwanzig – hier oben vorzufinden. Sie wussten ja nicht, was es mit ihm auf sich hatte …
Ash hockte auf der Randbegrenzung
Weitere Kostenlose Bücher