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Im Bann des Kindes

Im Bann des Kindes

Titel: Im Bann des Kindes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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der junge Mann überzeugt. Dabei sah er sich im Raum um, ließ den Blick über die Aufzeichnungen und Skizzen wandern, die im Augenblick nichts anderes als nutz- und sinnlos waren.
    Wieder nickte Salvat, langsam und bedächtig.
    »Nun gut«, sagte er, »ich habe dir damals schon erlaubt, dem Weg zu folgen, den du für den deinen hältst. Und ich habe meine Meinung nicht geändert. Aber wie willst du ihn betreten?«
    Raphael wandte sich dem Bild zu. Abermals verlor sein Blick sich in der Weite, die es suggerierte.
    »Vielleicht beginnt der Weg ...«, sagte er leise, überlegend. Seine Finger näherten sich der bemalten Leinwand, bis sie die noch frische Farbe darauf fast berührten. ». hier«, fuhr er fort.
    Er fühlte die krustige, klebrige Farbe unter seinen Fingerkuppen. Für einen flüchtigen Moment jedenfalls.
    Dann verspürte er -
    - Kälte? Die Ahnung eines kühlen Windes, der über verschneite Berge wehte .
    Er roch Schnee. Er schmeckte die Würze einer Luft, die nichts mehr mit der gemein hatte, die eben noch seine Lungen gefüllt hatte.
    Als Raphael Baldacci sich zu Salvat umwandte -
    - war er allein.
    Allein inmitten jener Landschaft, die er eben noch in Öl gemalt gesehen hatte.
    Und die Salvat und Elias an einem weit entfernten Ort noch immer so sahen.
    Raphael war vor ihren Augen verschwunden. In das Bild gestürzt wie aus einem geöffneten Fenster, ohne jedoch darin wieder aufzutauchen. Das Motiv hatte sich nicht verändert.
    Keiner von beiden hatte Anstalten gemacht, den jungen Mann aufzuhalten. Sie waren nicht einmal wirklich erschrocken; allenfalls Erstaunen hatte sich für einen Moment in ihre Züge geschlichen. Sie hatten beide schon Dinge gesehen, die wirklich erschreckend gewesen waren .
    »Ich wünsche dir Glück ...«, sagte Salvat schließlich.
    Elias wandte nicht den Kopf, aber Salvat konnte den erstaunten Blick, den ihm der andere aus den Augenwinkeln zuwarf, trotzdem spüren. Deshalb hütete er sich, laut auszusprechen, was er in Gedanken hinzufügte:
    . .. mein Junge.
    *
    Gabriel erhob sich und wischte sich über die Lippen, obgleich nichts daran war, was es wegzuwischen galt. Den üblen Geschmack, der nicht nur in seinem Mund, sondern überall in ihm war, konnte er mit der Bewegung nicht beseitigen.
    Die Kraft des Alten hatte nicht nur fürchterlich geschmeckt, sie vermochte ihn überdies nicht einmal wirklich zu stärken. Er spürte keine Wirkung in sich, und der Blick, den er auf den nackten Toten hinabwarf, war voller Abscheu.
    Mochten seine Gefährten sich an dem laben, was er noch in dem Leichnam gelassen hatte, bevor es sich vollends verflüchtigte. Gabriel gelüstete nach der frischen Kraft eines jungen Körpers, doch er wußte, daß Jennifer sich noch nicht soweit erholt hatte, als daß er sie schon wieder hätte aufsuchen können.
    Er gab den Untoten einen Wink. Wie eine Traube scharten sie sich um den toten Alten und teilten seinen Leib, um daraus die Kraft, die Gabriel ihnen gegeben hatte, zu regenerieren.
    Der Junge nahm indes am Totenbett seiner Mutter Platz. Seine kleine Hand faßte nach den kalten Klauen, die sich über der Decke wie zu einem letzten Gebet ineinander gekrallt hatten, und trennte sie. Nicht, daß der Anblick ihn irgendwie beeinträchtigt hätte, aber es war - nicht richtig .
    Er betrachtete Mariahs Gesicht, das im Mondlicht fahler als im Moment des Sterbens wirkte, zugleich aber wie von einer silbernen Aura umflort wurde, die ihr etwas Überirdisches verlieh. Als hielte allem, was sie getan hatte, zum Trotz noch eine Macht schützend die Hand über ihren toten Leib; eine Macht, zu der hin der Tod nur ein Schritt war - der Schritt .
    Gabriel lachte kurz auf, und es war ein helles Kinderlachen, das einen Herzschlag lang die Geräusche derer übertönte, die hinter ihm am Boden kauerten.
    Es war nichts mehr im Leib seiner Mutter, über das sich eine schützende Hand zu legen lohnte. Alles davon, jeder Tropfen, jeder Funke dessen, was Mariahs Existenz einst ausgemacht hatte, war in ihrem Sohn. Sie hatte ihn damit genährt, und er hatte gierig alles in sich aufgesogen.
    Er erinnerte sich an alles, von der Stunde seiner Geburt an.
    Daran, wie er, kaum dem Mutterleib entronnen, nach den Gedanken der Ordensschwestern gegriffen und sie in wohlgefällige Bahnen gelenkt hatte. Daran, wie er, nur wenige Tage alt, die Schatten zum Leben erweckt hatte, um einen allzu neugierigen Pfaffen zu töten, der seine Geburt bekanntgeben wollte. Daran, wie er die sterbenden

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