Im Bann des Mondes
ein Toter. Kummer hatte manchmal diese Wirkung. Und mancher suchte lieber den Schlaf des Vergessens, als sich der Realität zu stellen. Daisy wusste das aus eigener Erfahrung.
Eine gewisse Feigheit war ihr nicht abzusprechen, als sie sich ankleidete und dann über ihn wachte, bis die Sonne anfing, an seinen Beinen nach oben zu gleiten und mit den flachen Muskeln auf seinem Rücken spielte.
Als er sich endlich doch regte, ging sie zu ihm. Noch ganz verschlafen und brummend zog Ian sie an sich. Er schlang seine Arme um ihre Taille und legte den Kopf in ihren Schoß. Er schien ihren Duft tief einzuatmen, denn seine Brust dehnte sich weiter als gewöhnlich. Er zupfte an ihrem Kleid. »Du hast dich angezogen«, stellte er fest, während er gemütlich auf ihrem Schoß lag. Es klang wie ein Vorwurf.
Sie hätte zwar gern gelächelt, doch sie konnte nicht. Sanft strich sie über sein seidiges Haar. Sie hatte einen Kloß im Hals. »Es ist bereits Mittag.«
»Ach ja?«
»Mmm.« Sie glättete eine Strähne seines Haars zwischen den Fingern. Ian seufzte und drängte sich gegen sie. Wie ein richtiger Wolf, dachte sie und musste lächeln. Doch das Lächeln verschwand gleich wieder. »Ian.« Sie legte eine Hand auf seinen Scheitel. »Ian, es tut mir so leid.«
Sein Körper spannte sich an. Sie spürte, wie er schluckte. Seine Stimme war leise, doch kontrolliert, als er sprach. »Talent hat recht. Du hast Maccon eine Gnade erwiesen.« Er fuhr mit dem Finger das gewundene Muster auf ihrem Rock nach. »Ich war gekommen, um das Gleiche zu tun, Liebes. Ich … Er hatte es nicht verdient, so zu leiden.«
»Gestern Abend«, sagte er nach einem Moment, »als ich …« Er stieß einen langen Seufzer aus, und sein Atem wärmte ihren Bauch. »Ich dachte, ich käme zu spät«, krächzte er. »Ich dachte …« Er holte tief Luft. »Verdammt.«
Sie zog ihn fest an sich. »Hätte ich das gewusst, hätte ich auf dich gewartet. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass ich das getan hätte.«
Er schien sie nicht zu hören. »Ich hätte es nicht ertragen, Daisy, wenn du gestorben wärst. Ich will nicht in einer Welt leben, in der dein Licht nicht strahlt. Meinem Wolf die Freiheit zu geben hatte nur dann eine Bedeutung, wenn es dich gerettet hätte.«
Er schaute sie an, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Dann hob er die Hand, um langsam die Konturen ihres Gesichts nachzufahren, als wollte er sie sich fest einprägen.
»Ich liebe dich.« Er sagte es so schlicht, so ohne jeden Vorbehalt und ohne Scham … als hätte er die Worte schon tausendmal zu ihr gesagt.
Das raubte ihr den Atem und brach ihr das Herz.
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem reumütigen Lächeln. »Ich hätte es dir schon vorher sagen sollen, aber das habe ich nicht … Ich habe die Worte seit langer Zeit nicht gesagt.«
Schnell drückte sie eine Hand an seinen Kiefer und strich mit dem Daumen über seine Unterlippe. »Schsch.« Sie hatte das Gefühl, innerlich zu zerbrechen. Und es tat weh. Es tat so weh, dass sie meinte, gleich laut klagen zu müssen. Doch sie zwang sich zu sagen, was gesagt werden musste. »Schsch, Ian.«
Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen schnellen, sanften Kuss. Fast hätte sie dabei geschluchzt. »Du brauchst nicht …« Ihre Lippen zuckten und drohten, sie zu verraten. Sie holte noch einmal Luft. »Du brauchst dich nicht verpflichtet zu fühlen, diese Dinge zu sagen.«
Sein Körper versteifte sich, und er sah sie fassungslos an, als hätte sie ihn geschlagen. Daisy ließ sich davon nicht abschrecken, sondern sprach schnell weiter. Sie musste die Sache hinter sich bringen. »Ich weiß, dass du mich gern hast, Ian.«
»Dich gern hab.« Seine Stimme war tonlos, und er zog die Augenbrauen zusammen. »Dich gern hab? Mich verpflichtet fühle?«
Er setzte sich auf, und sie wich zurück, weil sie spürte, dass ein Wutausbruch unausweichlich war. Doch er ließ sie nicht weit kommen. Starke Hände packten ihre Oberarme so fest, dass sie sich nicht entziehen konnte. Unendliche Qual lag in seinem Blick.
»Ich sage zu dir, dass ich dich liebe. Worte, die ich geschworen hatte, nie wieder auszusprechen.« Seine Finger bohrten sich in ihr zartes Fleisch. »Und du meinst, ich würde mich dazu verpflichtet fühlen?« Seine Stimme bekam einen scharfen, ätzenden Unterton. »Aus irgendeinem verqueren Bedürfnis heraus, dich zu verhätscheln?«
»Ian«, wisperte sie, denn ihre Stimme wollte ihr genauso wenig gehorchen wie ihr Herz. »Du tust mir
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