Im Bann des Mondes
nicht zufrieden war. Nicht einmal annähernd.
»Wie viel?«, fragte er, während er ihren Rücken streichelte.
Die Frage war eindeutig. Sie zitterte wieder. Einen eisigen Moment lang befand sie sich wieder auf Luciens Kahn. Sie spürte, wie ihr Leben endete, die eisige, Übelkeit erregende Furcht, die sie dabei empfunden hatte und den blendenden Schmerz der Wiedergeburt. Danach hatte sie sich noch eine Stunde lang schrecklich gefühlt, sodass sie mehr als einmal den wahren Tod herbeigesehnt hatte, während Lucien sie hielt und ihr mitfühlend auf den Rücken klopfte.
Sie schluckte mehrmals, ehe sie wieder sprechen konnte. »Eine.«
Ian lehnte sich zurück, um sie überrascht anzuschauen. »Eine Seele?«
»Eine Seele und hundert Jahre im Dienste der GIM s.«
Eine Seele für ihre, denn ihre eigene hatte sie ja schon Ian geschenkt. Einhundert Jahre, weil ihre Verbindung zu Ian und den Lykanern wertvoller für sie war als alle Seelen. Also würde sie mit den GIM s zusammenarbeiten, Informationen zusammentragen und ihre Mitstreiterin am Hof Ranulf sein. Es war ein seltsam erregender Gedanke nützlich zu sein. Ihr stand eine ganz neue Welt offen. Wenn Ian bei ihr war, konnte sie es mit allem aufnehmen.
In stiller Wut knirschte er mit den Zähnen. »Ich hätte das machen sollen. Ich hätte mich an deiner Stelle anbieten sollen.«
Seufzend legte sie eine Hand an seine Wange. »Es war meine Entscheidung, mein Opfer. Ich bedauere nichts, Ian.«
Der ärgerliche Ausdruck verschwand nur langsam von seinem Gesicht, und sie stupste ihn gegen die Schulter.
»Und ausgerechnet du redest von Dickköpfen«, meinte sie. »Hast du es denn noch immer nicht bemerkt? Du bist das Leben. Du bist der Grund, warum ich jeden Morgen aufs Neue erwachen möchte, warum jeder Atemzug Freude bedeutet. Ich bin erlöst, Ian, denn auch ich könnte durch die Kraft deiner Liebe ein Gott werden. Wenn ich wüsste, dass ich sie habe.«
Er berührte ihre Wange zart, ganz zart. »Du hast sie, Daisy, Liebste. Auf immer.«
»Dann« – sie zog ihn an sich – »schwöre ich bei meiner Seele, dass deine Liebe nicht umsonst sein soll. Ich gebe sie dir mit allem, was ich habe, zurück. Ich werde dich behalten und dich lieben bis zu meinem letzten Atemzug.«
Sie sah, wie ihm endlich die Erkenntnis kam, dass sie jetzt wie er war – unsterblich. Er würde nicht mehr zusehen müssen, wie sie alterte, während er immer der Gleiche blieb. Solange sie einander hatten, würden sie nie wieder allein sein.
Sein Lächeln strahlte so hell wie der Mond, als er sich über sie beugte, um sie zu küssen. »Bis zu meinem letzten Atemzug.«
Epilog
Ians und Daisys Hochzeit war ein rauschendes Fest, bei dem getrunken, getanzt und immer wieder schottische Lieder angestimmt wurden – ganz abgesehen von den für Lykaner typischen Possen. Braut und Bräutigam waren in der Tat recht schamlos in der offenen Zurschaustellung ihrer Zuneigung. Das ging so weit, dass der Bräutigam sich die Braut einfach über die Schulter warf und sie davontrug, als er die Zeit für gekommen hielt. Man hörte die Braut noch lachen, als die beiden den Raum längst verlassen hatten.
»Angeber«, brummte sein Trauzeuge Archer. Doch davon ließ sich keiner zum Narren halten. Zuallerletzt seine Ehefrau, die ihm heimlich zulächelte und ihn kurz darauf nach Hause zerrte.
Poppy dagegen kehrte in ein leeres Haus zurück. Seit drei Monaten machte sie das jetzt schon durch. Drei Monate, und es wurde immer noch nicht leichter. Sie ging den üblichen Verrichtungen nach, nahm ihren Hut ab, zündete Lampen an. Dinge mussten erledigt werden. Das Leben musste weitergehen. Das Leben würde weitergehen, auch wenn jeder Atemzug schmerzte und ihr ganzer Körper bei jeder Bewegung wehtat. Kummer und Einsamkeit waren etwas Heimtückisches, denn beides spielte sich im Kopf ab. Man konnte keinen Trank zu sich nehmen und zuschauen, wie sie verschwanden.
Minuten vergingen, während sie in der Mitte ihres verlassenen Hauses stand. Sie würde weder seinen Schritt im Flur hören noch den Duft seiner Pfeife riechen, wenn die Sonne unterging und der Teekessel pfiff. Und sie würde auch nicht die Wärme seiner Arme spüren, die sie umfingen, während der Rest der Welt annahm, sie wäre zu stark, um eines Trostes zu bedürfen. Sie war stark. Aber sie war nicht mehr ganz und unversehrt.
Danksagung
Auch dieses Mal habe ich meiner wundervollen Agentin, Kristin Nelson, zu danken, die sich immer um mich kümmert. Ich bin so
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