Im Bann des roten Mondes
sie doch selbst heraus«, fuhr er sie unbeherrscht an. »Sie sehen ja, dass meine Frau dazu nicht in der Lage ist.«
Die Modistin zuckte zusammen, kramte ein Korsett und diverse Unterkleider heraus und schob etwas verschämt die ›Unaussprechlichen‹ darunter. »Ich lasse Ihnen die Rechnung zukommen«, murmelte sie und beeilte sich, das Zimmer zu verlassen. Ihre Gehilfen würden die restlichen Sachen in einer Stunde abholen.
»Désirée, kannst du mir sagen, was ich dir eigentlich getan habe, dass du mich so behandelst? Ich will doch nur dein Bestes. Ich will, dass du wieder glücklich bist. Ich will, dass du wieder normal wirst, denn das hier ist nicht normal. Du willst dich ja nicht einmal ordentlich ankleiden!« Tatsächlich hockte sie noch immer in dem Morgenmantel da, den Philippe ihr besorgt hatte.
Sie hob die Augen zu ihm, der unablässig im Zimmer hin und her lief. »Wieso nennst du mich deine Frau?«, fragte sie leise.
Mit einem Ruck blieb er stehen. »Was?«
»Wieso du mich deine Frau nennst«, wiederholte sie die Frage.
»Weil du es im Prinzip schon bist. Wir hätten längst heiraten sollen, das sehe ich jetzt ein. Dann wäre diese ganze verdammte Sache wahrscheinlich gar nicht passiert. Und wir werden die Hochzeit schnellstens nachholen, sobald wir in Paris angekommen sind.«
»In Paris?«
»In Paris«, bekräftigte er. »Wir reisen morgen ab.«
XLII
Philippe hatte das Frühstück aufs Zimmer bringen lassen. Natürlich hätte er jetzt mit Désirée auch das Frühstückszimmer im Souterrain des Hotels besuchen können, aber Désirée mochte nicht unter Menschen gehen. Er hatte ihr beim Ankleiden helfen müssen und darauf bestanden, das Korsett zu schnüren. Sie hätte es am liebsten in die Reisetasche verbannt. Doch Philippe wollte sich durchsetzen. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo er die volle Verantwortung für Désirée besaß. Sie war ganz allein auf der Welt, so wie er auch. Und selbst wenn sie noch keinen Segen der Kirche besaßen, es war ihm egal. Er betrachtete Désirée als seine Frau.
Die Nacht allerdings hatten sie getrennt verbracht, Désirée im Bett und Philippe auf dem viel zu kurzen Kanapee. Désirée mochte seine körperliche Nähe nicht ertragen, und er vermutete, dass sie von den Tuareg vergewaltigt worden war. In der Hoffnung, dass dies ohne Folgen bleiben würde, würde er alles dafür tun, dass sie darüber hinwegkam. Wie er damit umgehen sollte, war ihm selbst noch nicht ganz klar. Wahrscheinlich würde er es einfach verdrängen.
Früher hatten sie einen lockeren sexuellen Umgang miteinander betrieben und sehr anregende Nächte verbracht. Er war kein Puritaner, er war überhaupt kein streng moralischer Mensch. Und er konnte verzeihen.
Désirée hatte kaum etwas gegessen. Dieses Mieder nahm ihr die Luft zum Atmen, presste die Rippen in die Lungen und schnürte den Magen zusammen, dass es schmerzte. Sie wusste nicht, wie sie jemals die Zugfahrt überstehen sollte.
Einen Augenblick wurde ihr schwindelig, und sie musste sich an der Tischkante festhalten. Die Eisenbahn würde sie unaufhaltsam aus der Wüste herausbringen.
Es war der endgültige Abschied! Etwas in ihr schrie auf. Konnte sie einfach so gehen, alles hinter sich lassen, als wäre nichts geschehen?
Sie erhob sich vom Tisch und trat zum Fenster. Mit den Händen drückte sie die raumhohen Fensterläden auf, die die Hitze des Tages draußen halten sollten. Ein bisschen erinnerten sie sie an ihre hübsche Wohnung in der Rue de Voisin in Paris. Auch dort gab es diese schmalen, hohen Fensterläden. Die Straße war schon belebt; arabische Händler boten ihre Waren feil, europäisch gekleidete Männer eilten geschäftig irgendwohin, andere flanierten mit ihren Ehefrauen oder suchten ein Café auf.
Ein störrischer Esel schrie, weil er die überladene Gemüsekarre nicht ziehen wollte, und der Bauer redete ununterbrochen auf das Tier ein, als könne er es auf diese Weise überzeugen. Eine total verschleierte arabische Frau eilte mit zwei Kindern an der Hand durch das Gewimmel, den Kopf gesenkt und sichtlich nervös. Vielleicht waren die Kinder krank, und sie suchte einen französischen Arzt auf. Und ganz sicher hatte ihr Mann etwas dagegen.
Hinter Désirées Rücken räumte der Diener das Frühstückstablett weg, und das Zimmermädchen schüttelte die Betten auf. Philippe entlohnte beide mit einem kleinen Trinkgeld. Es war ja alles so normal!
Sie zog die Fensterläden wieder heran, und das Zimmer versank in
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