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Im Bann des roten Mondes

Im Bann des roten Mondes

Titel: Im Bann des roten Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hastings
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nachdrängenden Menschen aus dem Mutterland. Die Kolonie zog nicht nur überzeugte Patrioten an, die den Geist Frankreichs fleißig unter den unzivilisierten Barbaren verbreiten wollten, sondern auch Glücksritter, schwere Jungs und leichte Mädchen, Abenteurer, Sonderlinge und Geschäftemacher. Selbst die einheimischen Berber, ansässige Bauern, Händler und Viehtreiber wussten die Eisenbahn für sich zu nutzen. So gab es neben den Personenwaggons erster und zweiter Klasse auch Gepäckwagen, in denen die Einheimischen mitfahren konnten. Die meisten jedoch bevorzugten einen luftigen Platz auf dem Dach der Waggons zusammen mit Kindern, Hühnerkäfigen und bündelweisem Gepäck.
    Der Zug hätte schon vor zwei Stunden ankommen sollen. Aber solche Verspätungen waren normal. Schließlich musste er das Atlasgebirge durchqueren, und das war immer mit Unwägbarkeiten verbunden.
    Unmittelbar hinter dem Bahnhof begann die Wüste. Ein Stück weiter entstand ein neuer, größerer Bahnhof. Der Rohbau war zur Hälfte fertig. Bald schon würde sich der stählerne Schienenstrang tiefer in die Wüste hineinbohren. Der Fortschritt war nicht aufzuhalten.
    Neben Désirée hatte sich eine alte Bäuerin mit zwei Körben voll Zwiebeln auf den harten Stein gesetzt. Mit stoischer Ruhe ertrug sie das Gedränge und die europäische Ungeduld. Ihr faltiges Gesicht war unverschleiert, und das Leben hatte seine tiefen Kerben hineingeschlagen. Als sie Désirées verstohlenen Blick bemerkte, lächelte sie ihr zu. Dabei entblößte sie den einzigen Zahn, den sie noch besaß.
    Désirée erwiderte das Lächeln. Danach fühlte sie sich ein bisschen leichter.
    »Können wir nicht ein bisschen abseits warten?«, fragte sie Philippe.
    »Der Zug muss bald kommen, chérie. Ich möchte einen guten Platz für uns erringen.«
    Dann wurde eine Glocke geschlagen, ähnlich einer Schiffsglocke. Die Ankunft des Zuges stand kurz bevor. Unter den Wartenden breitete sich Unruhe aus. Désirées Magen krampfte sich zusammen, und sie musste sich an Philippes Arm festhalten, um nicht zu wanken. Sie starrte auf das Gleis und die herannahende, schnaufende Lokomotive wie auf das Fallbeil der Guillotine. Ihr Herz begann heftig zu schlagen, sie hörte das Dröhnen in ihrem Kopf. Ihre Schläfen pochten, und die Luft zum Atmen wurde knapp. Sie spürte Panik in sich aufsteigen und wollte schreien. Doch wie in ihren Albträumen brachte sie keinen Ton hervor.
    Da ging ein unterdrückter Aufschrei durch die Menschen, die sich wartend am Bahnsteig drängten. Alle Blicke wandten sich zum Kamm der Düne, die die zivilisierte Welt von der Wüste trennte. Als dunkle Silhouette gegen den hellblauen Himmel zeichnete sich dort ein einzelner Reiter auf seinem Kamel ab. Seine Gestalt war verhüllt, nur der Wind spielte in den Falten seines Gewandes.
    »Dass die sich so weit vorwagen«, flüsterte eine Frau neben Désirée.
    Ihr Gatte blickte sich suchend um. »Wo bleibt denn das Militär?«
    Auch Désirée starrte zu dieser Erscheinung hinüber wie auf eine Fata Morgana. Doch sie wusste im gleichen Augenblick, dass dieser Reiter dort Wirklichkeit war.
    Philippes Augen lösten sich von dem Bild und wanderten zu Désirée.
    »Lauf keinem Irrbild nach«, sagte er leise zu ihr. »Er ist nicht der Held, den du in ihm sehen willst. Er ist nichts weiter als ein blauer Bandit.«
    »Wir angeblich zivilisierten Menschen in Europa haben unseren Traum verloren«, erwiderte sie. »Wir brauchen neue Träume.«
    »Du kannst die Zeit nicht anhalten. Immer wird der Stärkere gewinnen.« Er sprach beschwörend auf Désirée ein.
    Sie zog ihren Arm aus seinem und wandte sich nun gänzlich um. Etwas zog an ihr, das so stark und ebenso unsichtbar war wie ein riesiger Magnet. Schritt für Schritt entfernte sie sich vom Bahngleis und von Philippe, von den wartenden Menschen und einem gestorbenen Traum. Und dann begann sie zu laufen.
    Sie lief und lief, und der Sand presste sich schmerzhaft in ihre Schuhe. Die heiße Luft drang in ihre Lungen und ihre Augen brannten. Doch sie hielt nicht inne, auch als der Hang der Düne ihr die Kraft nehmen wollte.
    Arkani drückte mit dem Fuß auf den Hals seines Reittiers und zwang es nieder. Er streckte Désirée seine Hand entgegen. Wie eine Ertrinkende griff sie zu, und er zog sie vor sich in den Sattel. Dann erhob sich das Mehari. Er wendete es und ritt in die grenzenlose Weite der Wüste hinein. Irgendwo am Horizont wurden sie von der Ewigkeit aufgenommen.

Epilog
    Terar kem

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