Im Bann seiner Küsse
schwarzer Haare zu sehen.
Merkwürdige Familie, dachte Tess wieder.
»Mama?«, sagte Savannah leise.
Tess benötigte eine Minute, um sich zu besinnen, dass sie jetzt ihre Mutter war. Vorsichtig sagte sie: »Ja?«
»Wir ... wir dachten, Caleb wäre ein hübscher Name.«
Tess blickte auf das Baby in ihren Armen hinunter. »Caleb.« Das Wort kam ihr im genau richtigen Ton über die Zunge. Natürlich stand es nicht ihr zu, dem Kind einen Namen zu geben, und sie hätte nicht zu widersprechen gewagt, doch waren sie seltsamerweise just auf jenen Namen verfallen, den auch sie gewählt hätte. Sie nickte langsam und lächelte. »Der Name passt perfekt.«
Katie steckte den Kopf hervor. »Ja?«
Tess lächelte dem kleinen Mädchen lieb zu. »Hast du ihn ausgesucht?«
Katie errötete heftig und verschwand wieder.
»Und wer hat den Kleinen gewickelt?«, fragte Tess.
Savannah nagte an der Unterlippe. »Das war ich. Aber wenn du willst, kann ich es ...«
»Du hast es goldrichtig gemacht. Danke.«
Savannahs milchweiße Wangen färbten sich blutrot. »Ich muss gehen.« Damit drehte sie sich um und rannte, gefolgt von Katie, hinaus.
Jack starrte Tess mit unergründlicher Miene an. Sie konnte nicht unterscheiden, ob er sich freute oder ärgerlich war. Der Augenblick zog sich in die Länge, wurde zäh und unangenehm. Sie wollte sprechen, wusste aber nicht, was sie sagen sollte. Das Fiasko der Szene von vorhin hatte Tess vor Augen geführt, was für ein emotionales Minenfeld diese Familie war. Jedes unbedachte Wort konnte einen den Kopf kosten.
Das Schweigen weckte Unbehagen in Tess. Sie hatte Jahre, eigentlich ein ganzes Leben, in schmerzlicher Stille verbracht. Das wollte sie nie wieder erleben.
»Jack, ich ...«
»Keine Angst, ich gehe schon.« Damit drehte er sich um und war auch schon an der Tür.
Diese schlug zu, als Tess sagte, »... glaube, dass wir miteinander reden sollten.«
Sie starrte die Tür an und kam sich seltsam betrogen vor. Dann drückte sie sich resigniert seufzend in die Kissen und schloss die Augen. Die ihr nicht unvertrauten Gerüche von verwittertem Holz, von handgewaschener Baumwolle und brennendem Öl umwoben ihre Sinne. Geräusche drangen an ihre Ohren und ließen sie lächeln. Leise, weiche Geräusche, die den meisten Menschen nicht aufgefallen wären. Knarrende Dielen, Wind an den Fensterscheiben, Calebs regelmäßige Atemzüge. Für die seit ihrem siebenten Jahr ertaubte Tess waren diese köstlichen Hörerlebnisse echte Geschenke des Himmels.
»Also gut, Carol«, sagte sie leise. »Ich bin da. Ich finde mich damit ab. Aber was zum Teufel soll ich nur machen?«
Es gab keine Antwort. Sie hatte auch keine erwartet. Wie immer war Tess auf sich allein gestellt.
Sie wiegte Caleb sanft, bis er einschlief, dann schob sie die Decken zurück und wollte aufstehen.
Jäher Schmerz ließ sie abrupt innehalten und rief ihr mit aller Macht ins Gedächtnis zurück, dass ihr Körper eben einem Kind das Leben geschenkt hatte. Beträchtlich langsamer schleppte sie sich ans Bettchen und legte das schlummernde Baby vorsichtig hinein.
Als sie sich aufrichtete und mit der Hand im schmerzenden Rücken umdrehte, schien der Spiegel ihr zuzuzwinkern und sie wie magisch anzuziehen. Zögernd ging sie näher.
Was sie im Spiegel sah, raubte ihr buchstäblich den Atem. Seidiges, weizenblondes Haar umrahmte ein exquisites Grace-Kelly-Gesicht. Große, samtbraune Augen erwiderten fragend ihren Blick.
Verwundert schüttelte sie den Kopf und registrierte fasziniert, wie das Licht sich in ihrem langen, goldenen Haar fing und darin spielte. »Donnerwetter, wenn der liebe Gott einem eine zweite Chance gibt, dann aber ordentlich«, kam es ihr in der gedehnten Sprechweise des Südens über die Lippen.
Sie humpelte zurück zum Bett und kuschelte sich unter die
Decke. Zum ersten Mal in ihrem Leben schlief sie mit dem Bewusstsein ein, schön zu sein.
Hewlett-Packard
4
Lautes Krachen riss Tess aus dem Schlaf.
Benommen und desorientiert stützte sie sich auf die Ellbogen auf und wollte aufstehen. Sie brauchte eine Weile, bis ihr einfiel, wo sie war. Und in welchem Jahr. Rasch warf sie einen Blick zum Bettchen hinüber. Caleb schlummerte friedlich.
Erleichtert nahm sie nun den Raum in Augenschein. Nichts schien verändert - obwohl sie nicht ganz sicher war. Bleicher Mondschein drang durch die silbrige Fensterscheibe in das stille Dunkel.
Als sie die Decke zurückschob und sich aufsetzte, zerriss bohrender Schmerz ihren
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