Im Blut vereint
Grund sein mochte, bei Ethans Anblick geriet ihr Herz aus dem Takt und raste, als müsste es sich in Sicherheit bringen.
Aber es gab kein Versteck. So ging es ihr immer in Ethans Nähe. Er war so präsent, so voller Leben, dass seine Ausstrahlung bis in die geheimsten Winkel ihres Herzens reichte. Dorthin, wo Kate sich verkroch, wenn etwas allzu weh tat. Ein Versteck, das sie mit zehn Jahren entdeckt hatte und in das sie sich sechs Jahre später dauerhaft zurückgezogen hatte. Bis Ethan sie für sechs berauschende Monate daraus vertrieben hatte.
Endlich bekam sie den Mund auf. »Tut mir leid. Das macht er sonst nicht.« Das war eine schlechte Entschuldigung und eine Lüge obendrein. Denn Kate hatte keine Ahnung, wie Alaska sich sonst benahm. Schließlich hatte sie ihn erst seit einer Woche, und davon war sie die meiste Zeit arbeiten gewesen. Warum hatte sie in Ethans Gegenwart immer das Gefühl, sich verstellen zu müssen?
Ethan blickte sie mit undurchdringlicher Miene an. »Vielleicht hat er was falsch verstanden.«
Sollte das eine Entschuldigung sein? Oder war das seine Begründung dafür, dass er ihr all diese Beleidigungen an den Kopf geworfen hatte? Sie blickte ihn an und versuchte zu erraten, was zum Teufel er hier wollte. Verdammt, er sah einfach zu gut aus. In der feuchten Luft kräuselte sich sein dunkles Haar. Er hatte den Jackenkragen bis zum Kinn hochgeschlagen. Wie gern hatte sie mit der Fingerspitze die Narbe an diesem Kinn nachgezogen, eine glatte gerade Linie, die zwischen den Bartstoppeln entlanglief.
Kate merkte, wie sie nach der Narbe suchte, wie sie sehnsüchtig jedes Detail dieses Gesichts in sich aufnahm, das sie seit vier Monaten nur noch als Erinnerungsbild kannte. Ethan sah aus wie früher, und doch schien er verändert. Um seinen Mund lag ein entschlossener Zug. Und seine Augen … Etwas war anders, auch wenn sie nicht sagen konnte was.
Neu war auch die starre Haltung seiner Schultern. Früher hatte man Ethan nie irgendeine Anspannung angemerkt. Jetzt schon. Er musste von Kates neuem Job bei LMB gehört haben.
Ihr Magen zog sich zusammen. Das hatte er bestimmt nicht gut aufgenommen. Warum sollte er auch? Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie er auf die Nachricht reagiert hatte, dass seine Exverlobte wenige Wochen nachdem sie ihm den Ring vor die Füße geworfen hatte, zu Randall Barretts Kanzlei gewechselt hatte. Vermutlich hatte er auch das von Vicky erfahren.
Obwohl sie sich vorgenommen hatte, nicht mehr an die Polizistin vom Betrugsdezernat zu denken, erinnerte sich Kate nur zu deutlich, wie bestürzt Vicky sie aus ihren kobaltblauen Augen angeschaut hatte, nachdem Ethan Kate am Silvesterabend zur Rede gestellt hatte. Eigentlich war Vicky dafür bekannt, dass sie sich durch nichts erschüttern ließ, und obwohl ihre Trennung von Ethan erst wenige Monate zurücklag, hatte sie sich Kate gegenüber nie unfair verhalten. Aber zu Silvester sah das anders aus. Mit bösem Ergebnis. An diesem Abend hatte Vicky sie alle schockiert. Sich selbst eingeschlossen, wie es schien.
Vicky hatte ihren Exfreund auf dem Gang vor dem Badezimmer abgefangen. Kate hatte nichts davon gemerkt. Sie war gerade dabei, sich unten einen Drink zu holen.
Im Obergeschoss gratulierte Vicky derweil Ethan munter zu seiner Verlobung mit der Tochter von Dick Lange, dem berüchtigten Betrüger.
Völlig perplex stellte Ethan Kate zur Rede. Kate blickte ihn nur an, ihren Drink in der Hand, denn sie konnte es noch nicht fassen, dass sich die gelassene, verständige Vicky soeben wie die typische verschmähte Frau aufgeführt hatte. Und erreicht hatte, dass Ethan wie ein Idiot dastand.
Aber ausbaden musste es Kate. Ob sie sich vorgestellt habe, ihre gemeinsamen Kinder in den Knast mitzunehmen, um den Opa zu besuchen, wollte Ethan wissen. Dass ihr Vater gar nicht mehr im Gefängnis war, spielte für ihn keine Rolle, das wusste sie. Für Ethan würde er immer ein Knacki bleiben.
Über ihre Schwester Imogen hatte Ethan nicht viel gesagt, aber sein Blick hatte Bände gesprochen.
Vicky war Kate sogar noch in die eisige Nacht hinaus gefolgt. Um sich zu entschuldigen? Kate wusste es nicht. Vicky Moffatt würde mit dem leben müssen, was sie angerichtet hatte. Genau wie Kate.
»Und, wie geht’s dir so?«, fragte Ethan, und Kate wurde plötzlich bewusst, wie lange sie schon schwiegen.
»Gut.« Sie nickte. »Ich habe ein Haus gekauft.«
Er schaute wortlos an der Fassade hinauf.
Verschlossen
. Das war der neue Ausdruck in
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