Im Blut vereint
Bein.
Es war Blut. Die Wunde am Oberschenkel blutete noch. Das Blut strömte nur so heraus.
Warte. Nein.
Sie erstarrte.
Vor den Bäumen. Eine Männergestalt. Silbriges Haar …
Die Punkte wirbelten wie verrückt umher.
Nicht jetzt. Nicht jetzt.
Nicht jetzt …
Asphalt, an ihren Armen, am Gesicht.
Die Punkte wurden von Dunkelheit verschluckt.
56
Freitag, 18. Mai, 19:53 Uhr
Ethan trat so hart auf die Bremse, dass der Wagen ins Schleudern geriet. Fast hätte er Fergusons Auto gerammt, das hinter ihm kam. Im Licht der Laterne am Parkplatzrand hatte er etwas Grünes liegen sehen. Er riss das Lenkrad herum. Der Wagen schoss über die Bordsteinkante und auf den Parkplatz.
Das grüne Etwas war nun deutlicher zu erkennen.
Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Es war Kate. Sie lag in einer Blutlache auf dem Asphalt.
Er sprang aus dem Wagen und rannte hin, schneller als je zuvor in seinem Leben. Um ihn herum heulten Sirenen. Reifen quietschten. Die anderen aus dem Team hatten den Parkplatz hinter
Keane’s Funeral Home
erreicht.
Kate lag mit dem Gesicht zum Boden, ein Arm war unter ihr eingeklemmt. Durch den OP -Kittel, den sie trug, sickerte Blut. An Beinen und Füßen war sie nackt. Sie sah so verletzlich aus, so schutzlos, dass er sich zwingen musste, sie nicht aufzuheben und an sich zu drücken.
Aber wenn sie – alles in ihm wehrte sich gegen das Wort –, wenn sie tot war und er ihre Lage veränderte, vernichtete er womöglich Spuren, die letztendlich den Mörder überführen konnten.
Er kniete sich neben sie und legte eine Hand an ihren Hals. Ihre Haut war noch warm.
»Bitte, Kate«, flüsterte er. »Bitte.«
Seine Finger fuhren ihren zarten Hals entlang. Er spürte keinen Puls.
Er spürte keinen Puls.
Verzweifelt suchte er weiter.
Bitte, Gott. Bitte!
So hektisch er auch suchte, er fand keinen Puls.
Ferguson kam dazu und kniete sich ebenfalls neben Kate. Ethan spürte ihren Blick. Er schaute nicht hoch. Er wollte das Mitleid in ihren Augen nicht sehen.
Tränen traten ihm in die Augen. Tränen der Trauer. Und der Reue. Er hatte Kate abgewiesen. Er hatte ihr nicht vergeben.
Das war jetzt die Strafe dafür.
Gute Arbeit, Gott. Du weißt genau, wie man einen Cop vom Morddezernat bestraft.
Ein Rettungswagen hielt neben ihnen. Die Sanitäter sprangen heraus und holten eine Trage hervor. Ferguson machte ihnen Platz. Ethan blieb, wo er war.
Die Sanitäter knieten sich neben Kate. Widerwillig nahm Ethan die Hand von Kates Hals. Ihre Haut war noch immer warm. Sobald sie kalt war, würde sie einfach das nächste Mordopfer sein. Sie würde Gegenstand eines amtlichen Vorgangs, in dem nur noch die Todesursache, die Art ihrer Verletzungen und die letzten Augenblicke vor ihrem Tod eine Rolle spielen würden. Was davor ihr Leben ausgemacht hatte, würde nicht mehr von Interesse sein. Das würde erst wieder bei der Gerichtsverhandlung zur Sprache kommen, wo stets auch Angehörige der Opfer zu Wort kamen. Doch solche Aussagen wurden nie den vielen kleinen, alltäglichen Dingen gerecht, die zusammen einen Menschen einzigartig machten.
Ethan richtete sich auf. Er wollte nicht zusehen, wie die Sanitäter Luft in eine Lunge zu pumpen versuchten, die nicht mehr von selbst atmete. Es würde nur Hoffnungen in ihm wecken. Und das wäre zu quälend.
Verzweifelt blickte er auf dem Parkplatz umher. Die Vorgänge dort hatten etwas Surreales. Die Zufahrt stand voller Autos, Polizisten stürmten mit gezückten Waffen das Bestattungsinstitut. Auch der Vordereingang war von Streifenwagen blockiert.
Aber es war zu spät. Sie hatten Kate nicht mehr retten können.
Er
hatte sie nicht retten können. Diese Frau, die bis in dunkelste Tiefen abgestürzt war und sich wieder einen Weg nach oben erkämpft hatte.
Jetzt sah er das alles. Er wünschte, er hätte es schon früher begriffen.
Er hatte nicht verstanden, dass sie sich eben wegen dieser Vergangenheit ihren Wert immer und immer wieder neu beweisen musste. Sie hätte etwas Besseres verdient gehabt.
Warum zum Teufel erkannte er das alles erst jetzt, wo es zu spät war?
Er wandte sich wieder den Sanitätern zu und wartete auf das Urteil. Einer von ihnen – der Mann – hatte Kates Arm angehoben und maß gerade den Blutdruck. »Tachykard. Puls einhundertzwanzig. Blutdruck systolisch achtundsiebzig. Atmung vorhanden.«
Ethans Herz begann zu hämmern. Der Sanitäter sah ihn an. »Sie lebt.«
Tränen liefen Ethan über die Wangen. Er kniff die Augen zu. Dann öffnete er sie
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