Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
augenblicklich die Feder wie ein Erdarbeiter seine Schaufel fallen lassen und davonrennen, wie gottvoll. Indem er sich so seinen Träumereien hingibt, ist Hasler abwechslungsweise hinter ihn geschlichen, um ihn zu beobachten.
»Was machen Sie da?«
»Ich bin jetzt am ›Ausland‹-Zusammenstellen.«
»Ich glaube, Sie sind bald eher im Ausland als am ›Ausland‹-Zusammenstellen. Wenn Sie aber jetzt nicht bald arbeiten, so will ich dann einmal ganz andere Saiten aufziehen. Schämen Sie sich, und nehmen Sie sich zusammen. Wenn alles Ermahnen jetzt nichts nutzt, werde ich mit Herrn Direktor ein Wort reden, passen Sie gut auf. Lassen Sie es sich gesagt sein.«
Und das Walroß wirft sich wieder auf seine Sandbank zurück. Der ganze Saal ist angenehm aufgeregt, ein Konflikt Helbling–Hasler bringt immer wieder von neuem erwünschte Luftveränderung. Helbling schrittwechselt zu Meier vom Land hinüber und bittet ihn, ihm behilflich zu sein, Zahlen abzulesen. Nach dem Zahlenablesen ist es (o, zersprängen doch jetzt die Adern der Welt!) halb elf Uhr geworden. Eine feierliche Blechmusik geht unten in der Straße vorüber, alles rennt an die Fenster, es ist der Zug, der die Leiche eines früheren Bundesrates auf den Friedhof begleitet. Selbst der für das meiste Geschehen unempfindliche Chef der Korrespondenz ist aufgesprungen, um hinunterzuschauen. Dieses Vorkommnis ist mit fünfzehn Minuten in Anrechnung zu bringen. Jetzt ist es dreiviertel elf. Helbling ist halb unvernünftig geworden, er tupft alle Augenblicke seine Stirn an den Rand des Pultes und netzt sich die Nase mit Tinte, damit er mit Abwischen Zeit verschlingen kann. Zehn Minuten sind verrieben worden, jetzt sind es noch vier entzückend wenige Minuten bis elf. Diese vier Minuten werden einfach eine nach der andern abgewartet. Um elf Uhr tritt Helbling »schon wieder« aus. Er sei wieder einmal ausgetreten, der Lump, heißt es in der Mitte des Saales. Viertel zwölf, zwanzig nach elf, halb zwölf.
Der kleine Glauser sagt zu Senn, jetzt sei es halb zwölf und, wie er eben bemerkt habe, habe der Helbling noch überhaupt keinen Streich getan. Meier vom Land geht zu Hasler, umihn zu benachrichtigen, daß er heute eine halbe Stunde früher fortgehen müsse, weil er einen durchaus notwendigen Gang zu besorgen habe. Helbling hat sich umgedreht und lauscht dem Gespräch zu. Er beneidet Meier vom Land wahnsinnig. Von der Straße her tönen die Räder von schnellfahrenden Wagen herauf, gegenüber dem Saal erscheint in einer Fensteröffnung die Figur eines teppichbürstenden herrschaftlichen Dieners, Helbling verbringt jetzt eine gute Viertelstunde damit, dort hinüberzuschauen. Zum noch Anfangen mit Arbeiten ist es jetzt seiner Meinung nach doch wohl zu spät. Senn macht sich abdampffertig, Helbling sieht zu, wie sich Senn abfliegefertig macht. Zwei Minuten vor zwölf setzten sich verschiedene die Hüte auf und wechseln die Röcke, Helbling ist bereits auf der Straße, Hasler ist schon fünf Minuten vorher gegangen. Der Vormittag ist überstanden.
(1907)
Das Büebli
E r ist Bankkommis und ein kleiner Kerl, »Säubübli« von seinen Kollegen genannt, eine Benennung, die er mit scheinbarer Gleichgültigkeit erträgt. Etwas Geringfügiges schwebt um seine Gestalt, und eigentlich ist er nur eine Figur, keine Gestalt, nur ein menschliches Etwas, keine Erscheinung. Ein bißchen ländlich beträgt er sich, und er stammt in der Tat auch vom Land, sein Vater verträgt in dem Dorf, wo er her ist, die Briefe. Es soll also wohl oder übel auch etwas Pöstliches an ihm sein, ja, beinahe, aber dies kommt ungefähr so schwach zum Ausdruck, wie die Mienen an den Personen eines schlechtgeschriebenen Romanes, oder wie das Lächeln eines jener geriebenen Menschen, die nicht mit den Lippen, sondern mit den Ohrlappen zu lächeln pflegen. Im übrigen heißt unser Statist Glauser, Fritz mit Vornamen. Er nimmt Fechtstunden, »so ein Dräckbürschli«. Seine Körperhaltung ist infolgedessen eine recht gute, die Haltung schulmeistert beständig das, vermöge dessen sie da ist, den Körper, und der kleine, gute Glauser-Körper läßt sich ruhig und ergeben von der unzufriedenen Geist-Haltung kommandieren. An der Haltung merkt man etwas, und am Körper belächelt man etwas, und an Glauser will man immer etwas auszusetzen haben.
So zum Beispiel sagt man, er sei ein Streber, was ja nun allerdings ein wenig wahr ist, aber sein Strebertum ist ein feines und bewußtes, es korrespondiert mit den
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