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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
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Urteile über seinen Nächsten fällen. Der an das glaubt, was er macht, und abends seine Zahlen lernt. Der einen Traum hat, was ihm reicht, um klaglos die Treppe rauf- und runterzulaufen. Vielleicht sollte ich ihm erklären, warum ich einen ganzen Tag in seiner Bar verbracht und heiße Schokolade, Kaffee, Kekse und Wasser konsumiert habe. Vielleicht denkt er, dass ich wegen einer gescheiterten Liebe hier bin. Oder wegen eines anderen Schmerzes. Dabei müsste ich ihm nur erzählen, dass mir gekündigt wurde. Andererseits hat Manuel mich gesehen und einfach als das genommen, was ich bin. Eine andere Olivia kennt er gar nicht, und ich würde wetten, dass meine Großmutter zufrieden wäre.
    Er steht unten am Tresen, verteilt Schnittchen auf großen runden Platten und schneidet Schinken in Würfel, um sie auf lange Zahnstocher zu stecken. Zeit für den Aperitif! Oh Gott, ist schon Happy Hour? Und ich sitze immer noch bei meinen Keksen.
    Jetzt muss ich mich aber sputen. Zeit, an die Front zurückzukehren, trotz des peitschenden Regens.
    Mir haftet der Geruch der Trägheit an, der Geruch eines stark frequentierten Lokals. Gut, dass es hier oben keine Spiegel gibt und auch keinen Bildschirm, wie man sie mittlerweile überall sieht. Am schlimmsten sind die am Bahnhof: Du bist spät dran, suchst deinen Bahnsteig und findest ihn nicht, weil sich die Nummer hinter einem Plasmabildschirm verbirgt, und prompt hast du das Gefühl, nicht in einen Zug, sondern in einen Werbespot einzusteigen.
    Nicht trödeln, Olivia. Setz dir ein Ziel, verankere dich in der materiellen Welt, und hör auf zu fantasieren. Ein Teil von mir möchte bleiben, aber der pragmatische Teil ist schon abmarschbereit. Zu der Party gehe ich allerdings nicht. Wenn ich Manuel fragen würde, würde er mich darin bestärken – er, der nichts weiß, mich aber seit heute Morgen so anschaut, als wollte er sagen: »Signorina, ich weiß, wie das läuft.«
    Langsam strecke ich die Beine. Das aufgeschürfte Knie klebt jetzt an der Strumpfhose, eine Erinnerung an die wunderbare Auszeit, die ich im Schutze dieser Zitadelle verbringen durfte. Ich stehe auf. Sogar die Schulterblätter sind steif geworden. Als ich den Mantel anziehe, finde ich in der Tasche einen zusammengerollten Zehn-Euro-Schein. Klänge es nicht töricht, würde ich sagen, dass dies wirklich mein Glückstag ist. Zusammen mit dem Kleingeld im Portemonnaie reicht das, um die Rechnung zu bezahlen, ohne mich erst entschuldigen und zum Geldautomaten gehen zu müssen. Ein Trinkgeld wäre eine Beleidigung für den Mann, den ich praktisch als Freund betrachte. Ich lege das Geld auf den Tisch. Dann falte ich den Lebenslauf zusammen, zerreiße ihn dann aber lieber in Stücke und werfe ihn fort. In diesem Zustand könnte ich ihn sowieso niemandem mehr vorlegen.
    Trotzdem bin ich ruhig. Die Bar Tabacchi ist besser als eine Bibliothek, um als treue habituée zurückzukehren. Ich kämme mich, als wäre eine ordentliche Erscheinung der beste Weg zu einem aufgeräumten Inneren.
    Manuel, Glatzkopf, Tobia, der Großvater, der Enkel, die Dame mit den Listen, der mürrische Ehemann, die Lästermäuler mit den BlackBerrys, die Mädchen mit den Piercings, der Junge mit dem Kopfhörer, die Alte mit 10, 12, 19, 30, 85 und 90, der Mann mit den Streichhölzern, das Mädchen mit den Flügelchen, die verliebten Jugendlichen.
    Alle werden sie mir fehlen, auch wenn ich vielleicht nie wiederkehren werde in diesen Hafen, wo das Herz der Gemeinschaft schlägt, wo Dinge anlanden und Geschichten sich trennen.
    Zeit zum Aufbruch.
    Ich nehme meine Tasche von der Rückenlehne. Manuel ist hochgekommen und steht jetzt vor mir.
    Ich bitte ihn, eine Polaroidaufnahme von ihm machen zu dürfen.
    Blitz, blitz.
    Wir müssen nicht einmal reden. Er nimmt meinen Karton und folgt mir zur Treppe, galant wie ein Diener ohne Uniform. Glatzkopf beobachtet uns und runzelt die Stirn. Nachsichtig.
    Jetzt stehen wir vor der Tür, und mir fällt nichts Feierliches ein, das ich sagen könnte.
    Herz wegen Schnee geschlossen, sorry .
    Er scheint meine Gedanken zu lesen, hilft mir, den Karton unter den Arm zu klemmen, schenkt mir ein breites Lächeln, zieht einen doppelt zusammengefalteten Zettel aus der Tasche und hält ihn mir hin.
    Irgendjemand muss jetzt den Mund aufmachen.
    Er tut es, als wäre es das Normalste auf der Welt, eine

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