Im Dienste der Comtesse
habe ich ja noch gar nichts gehört! Sind Sie sicher?“
„Ich habe es von einem Freund erfahren, der ein entfernter Cousin des Gouverneurs ist.“
„Kein Wunder, dass er so plötzlich von der Bildfläche verschwunden ist. Ich dachte, er hätte sich auf eine Auslandsreise begeben.“
„Nein, er ist im Gefängnis. Keine Ahnung, wer dahintersteckt. Er ist solch ein Ausbund an Tugend; ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er irgendwelche Sünden begangen haben soll. Jemand muss sich an seinen radikalen Ansichten gestört haben.“
Mélusine hielt ihr Messer so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Von dem Augenblick an, als sie beschlossen hatte, nach Paris zurückzukehren, hatte sie einem Wiedersehen mit dem Marquis de Saint-André entgegengefiebert. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass ein Treffen mit ihm unmöglich sein würde. Warum, um alles in der Welt, saß der Mann, der der beste Freund ihres Mannes gewesen war, als Gefangener in der Bastille?
Ihr wurde bewusst, dass Chaumont ihr gerade eine Frage gestellt hatte, und sie zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder der Unterhaltung zuzuwenden. „Ich bin erst seit ein paar Tagen wieder in Paris, Monsieur“, sagte sie.
Pierce stand hinter Mélusine. Es war eine einfache Aufgabe, sie beim Dinner zu bedienen. Nur selten nippte sie an ihrem Glas, auch aß sie kaum etwas; daher war er in der Lage, die Unterhaltung mitverfolgen zu können. Ihm war nicht entgangen, dass ihre Hand leicht gezittert und dass sie krampfhaft das Messer festgehalten hatte. Offensichtlich schien sie zu wissen, dass sie hier prüfenden Blicken ausgesetzt war. Ihm war bereits aufgefallen, dass man sie als eine gute Beobachterin bezeichnen konnte. Im Laufe der Jahre war er oft als Diener tätig gewesen, und nur wenige seiner Arbeitgeberinnen hatten je eine gewisse Neugier bezüglich seiner Person gezeigt oder versucht, hinter die Fassade zu blicken, die er um sich errichtet hatte.
Mélusine hingegen betrachtete ihn unentwegt. Sogar während des Frisierens hatte er das Gefühl gehabt, als ziehe sie ihm in Gedanken das Hemd aus. Und als sie am vergangenen Tag auf seine Beine starrte, hatte er ihr durchaus erotische Motive unterstellt. Aber dessen war er sich mittlerweile gar nicht mehr so sicher.
Sie hatte sich vollkommen steif gemacht, als er zum ersten Mal ihr Haar berührte. Sie versuchte ihre Anspannung hinter einer gelangweilten Miene zu verbergen, doch ihr Verhalten war eindeutig nicht das einer Frau gewesen, die beabsichtigte, einen künftigen Liebhaber zu verführen. Ohne Zweifel war sie sehr neugierig, was seine vermeintliche Affäre mit der Duchesse betraf. Aber es war die Neugier einer Betrachterin, nicht die einer Person, die sich zum Ziel gesetzt hatte, sich ähnlichen Aktivitäten hinzugeben. Und als das Gespräch in diese Richtung umschlug, war ihr Blick plötzlich über alle Maßen wachsam geworden.
Natürlich bedeutete das nicht, dass sie deswegen nicht die Erpresserin sein konnte. Solange Pierce keine endgültigen Beweise für ihre Unschuld in der Hand hatte, blieb sie seine Hauptverdächtige. Trotz allem behagte es ihm nicht, eine Frau anzufassen, die so offensichtlich nervös vor seiner Berührung zurückscheute. Eigentlich hatte er lieber die Verspannung aus ihren Schultern massieren wollen, doch als ihr Friseur durfte ihn nur ihr Kopf interessieren.
Und sie hatte es genossen. Obwohl er nur die feste Kopfhaut und ihr seidiges Haar gefühlt hatte, war ihm nicht entgangen, wie ihr Körper sich insgesamt entspannte. Ihre temperamentvolle Art war für ihn zur Herausforderung geworden. Er hätte niemals Gefallen daran finden können, eine verängstigte Frau zu verführen. Mélusine jedoch aus ihrer starren Abwehr zu locken und zu sinnlicher Ekstase zu führen, war eine sehr verlockende Vorstellung.
Mit diesem Gedanken ging aber noch ein andere, eine düsterere Überlegung einher. Wer war schuld, dass sie überhaupt so verängstigt war? Ihr verstorbener Ehemann – oder gar ein anderer Mann?
Pierce wusste, dass sie ihn auch deshalb eingestellt hatte, weil er ihrer Meinung nach fürsorglich mit seiner Mutter und seiner Schwester umging. Dabei konnte er sogar zwei Schwestern und zwei Brüder vorweisen, aber es war sicherer, wenn er nicht allzu viele Einzelheiten über seine Familie preisgab. Allerdings hatte er nur eine Schwester, die im September heiraten wollte, und an sie dachte er, als er Mélusines Frage beantwortete. Wenn das, was der Erpresser in
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