Im Dienste der Comtesse
Händen hielt, jemals an die Öffentlichkeit geriet, würde es für Anastasia keine Hochzeit mehr geben. Pierce hatte jedoch nicht vor, zuzulassen, dass ihr Glück zerstört wurde.
Wenn Mélusine, wie er glaubte, im Verdacht stand, die Erpresserin zu sein, dann deswegen, weil sie Geld brauchte. Ihr konnte es nicht in den Sinn kommen, zu enthüllen, dass einer der berühmtesten und geachtetsten Bankiers in London sein erstes Vermögen mit Schmuggel gemacht hatte, denn dadurch würde der Geldfluss aus der Erpressung versiegen. Pierce würde genug Zeit haben, das Beweisstück zu finden und zu vernichten, und dann waren auch keine harten Maßnahmen ihr gegenüber mehr erforderlich. Sobald sie nicht länger den Beweis hütete, dass Henry de La Motte und Bertier de Gilocourt beim Einschleusen verbotener Dinge gemeinsame Sache gemacht hatten, ließen sich alle Anschuldigungen, die sie hervorbringen konnte, einfach vom Tisch fegen. War sie jedoch nicht die Erpresserin, und gerieten die Beweise, die sie gefunden hatte, in die Hände eines der Feinde von La Motte, nahm die Gefahr rapide zu. Pierce war hin und her gerissen zwischen der nüchternen Hoffnung, sie wäre diejenige, die er suchte – damit ließ es sich leichter umgehen –, und dem leisen Wunsch, sie wäre es nicht, denn gegen seinen Willen gefiel sie ihm.
Bislang hatte sich die Unterhaltung bei Tisch um alle möglichen Gesellschaftsskandale gedreht, doch nun drehte sie sich um die Ereignisse bei den Generalständen in Versailles. Obwohl das Thema ihn dem Übeltäter kein Stück näher brachte, hörte Pierce aufmerksam zu.
„Die Eröffnungsfeierlichkeiten waren ein Fehler“, ließ sich der Marquis de Chaumont vernehmen. „Ich wusste von Anfang an, dass es Schwierigkeiten geben würde.“
„Aber es war doch ein prachtvoller Anblick“, protestierte Sabine de Foix.
„Nein, das Ganze war eine bewusste Provokation“, widersprach Chaumont. „Den Adel und den Klerus so prunkvoll und pompös aufmarschieren zu lassen, während der dritte Stand nur düsteres Schwarz tragen durfte … Ich frage Sie, Madame – würden Sie sich in dieser Runde wohlfühlen, wenn alle anderen Gäste Seide und Juwelen tragen dürften, Sie selbst jedoch nur schlichte Baumwolle?“
„Ich bin keine Bürgerliche“, wandte Sabine ein. „Unser Stammbaum als Adelsgeschlecht lässt sich mehr als drei Jahrhunderte zurückverfolgen.“ Ihr Blick streifte Mélusine, während sie sprach.
Pierce spürte mehr, als dass er sah, wie Mélusine eine defensive Haltung einnahm. Seiner Meinung nach wirkte sie durch und durch wie eine vornehme Dame von Adel, ganz gleich, wie ihr Stammbaum aussehen mochte. Nachdem sie die ersten sechs Monate der Trauerzeit um Bertier hinter sich hatte, trug sie nun ein schwarzes Seidenkleid mit feinen weißen Besätzen an den Ärmeln. Sie hatte ein ebenholzfarbenes Kollier angelegt, das die Makellosigkeit ihrer blassen Haut betonte. Auch zierten sie kleine schwarze Perlen und ein paar wenige, wohlplatzierte schwarze Federn in ihrem reich gepuderten Haar. Pierce war ein wenig besorgt, diese könnten sich lösen, wenn sie den Kopf etwas zu stark bewegte, aber alles in allem war er sehr beeindruckt von seinem ersten Versuch, eine richtige Frisur zustande zu bringen. Natürlich spielten die sechs schlaflosen Stunden in der vergangenen Nacht, als Clothilde ihm ein paar grundlegende Tricks beibrachte, keine unwesentliche Rolle dabei.
„Ich habe noch gar nicht gesagt, wie erfreut ich bin, Sie erneut in Paris zu sehen, Comtesse“, fügte Sabine hinzu.
„Ich bin froh, wieder hier zu sein, Madame“, antwortete Mélusine höflich.
„Es überrascht mich, dass Sie beschlossen haben, in einer so unruhigen Zeit zurückzukehren“, sagte Chaumont. „Sie wären doch sicher sehr viel komfortabler bei Ihrer Familie untergebracht gewesen, in … Bordeaux, nicht wahr?“
„Ja, in Bordeaux“, bestätigte Mélusine.
„Nun, da der erste Abschnitt Ihrer Trauerzeit vorüber ist, erscheint es mir vollkommen klar, dass Sie sich nicht länger von Paris fernhalten konnten, Comtesse“, schaltete Sabine sich wieder ein. „Haben Sie ihn schon gesehen?“
„Wen, Madame?“ Mélusine klang verwirrt.
„Wie raffiniert“, rief Sabine aus. „Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut! Nun, ich rede natürlich von Ihrem Geliebten.“
Sabine hatte unüberhörbar gesprochen, und jegliche andere Unterhaltung erstarb auf der Stelle. Alle Blicke richteten sich gespannt auf Mélusine. Da er
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