Im Dunkeln der Tod
aushielt, ein Jahr nach dem anderen. Aber er sehnte sich inbrünstig nach dem Tag, an dem er seine Habseligkeiten zusammenpacken und zu Hause ausziehen könnte.
In seinen Teenagerjahren setzte dann die Veränderung ein. In seiner Klasse gab es einen neuen Jungen, der sich für Kunst interessierte, jede Vernissage in der Stadt besuchte und in seiner Freizeit malte. Er war dermaßen enthusiastisch und mitreißend, dass einige aus der Klasse ihn an den Wochenenden ins Liljevalchs und ins Nationalmuseum, nach Valdemarsudde und in kleine, unbekannte Galerien begleiteten. Erik entwickelte das größte Interesse.
Ihn faszinierte die schwedische Kunst um 1900. Dabei entdeckte er auch den »Sterbenden Dandy« und war restlos überwältigt. Damals begriff er noch nicht, warum dieses Bild ihn so ansprach, er wusste nur, dass es in ihm eine tief verborgene Saite anschlug, über die er keine Kontrolle hatte. Er las alles über Dardel und die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, was er finden konnte. Neben seinem eigentlichen Pensum begann er, Kunstgeschichte zu studieren. Das aber wollte er vor seinen Eltern so lange wie möglich geheim halten.
Es war jedoch nicht nur das Kunstinteresse, das sein Leben in jenen Jahren schwierig machte. Er fühlte sich immer mehr zu seinem eigenen Geschlecht hingezogen, an Frauen hatte er keinerlei Interesse. Wenn seine Kumpels über Mädchen und Sex redeten, lachte er und machte mit und prahlte auch ab und zu mit seinen eigenen gewaltigen Erfahrungen. In Wirklichkeit aber schaute Erik heimlich den Männern hinterher. Im Bus, auf der Straße und nach dem Sportunterricht unter der Dusche. Ihn interessierten Männerkörper, nicht die von Frauen. Da ihm die altmodische und engstirnige Einstellung seiner Eltern zur Homosexualität jedoch quälend bewusst war, gab er sich alle Mühe, seine Sehnsucht nach Männern zu verbergen. Dann aber hatte er ein einschneidendes Erlebnis.
Die Familie wollte das Wochenende auf Gotska Sandön verbringen und dort in einem Ferienhaus übernachten. Auf der Fähre kamen sie ins Gespräch mit einer Familie aus Göteborg, deren Sohn im selben Alter war wie Erik. Am späten Abend, als die Erwachsenen beim Wein saßen, verließen die beiden Jungen das Haus und machten einen Spaziergang an den langen Sandstränden der Insel. Es war kurz vor Mittsommer, und die Nacht war hell und warm. Sie legten sich nebeneinander auf eine Sanddüne und schauten dabei zum Himmel hoch. Erik mochte Joel, wie der andere hieß, und sie hatten viele Gemeinsamkeiten. Sie wurden immer vertraulicher, und Erik erzählte Joel von seinen Problemen zu Hause. Joel war zärtlich und verständnisvoll, und plötzlich lagen sie einander in den Armen. Erik sollte diese Nacht niemals vergessen. Sie tauschten Adressen und Telefonnummern aus, hörten aber nie wieder voneinander.
Erik war in seinen Alltag in Stockholm zurückgekehrt, doch er war durch und durch erschüttert nach seiner ersten homosexuellen Erfahrung. Er hatte solche Angst vor seinen Gefühlen, dass er auf der Universität anfing, ein Mädchen zu umwerben, das ihn bei den Vorlesungen ausgiebig angesehen hatte.
Sie hieß Lydia. Sie wurden ein Paar und heirateten bald. Anfangs war die Ehe einigermaßen glücklich, und die drei Kinder kamen rasch hintereinander.
Erik hatte schon früh angefangen zu trinken, und das Trinken wurde mit jedem Jahr schlimmer.
Seine Eltern waren blind in ihrer Egozentrik. Sie steuerten Geld bei, sodass Erik und Lydia in einer großen schönen Wohnung auf Östermalm leben konnten. Lydia kam aus einer Mittelklassefamilie in Leksand, sie machte eine Ausbildung zur Konservatorin und wurde schließlich im Nationalmuseum angestellt.
Eines Tages, als Erik wie so oft erst am nächsten Mittag gegen zwei Uhr nach Hause gekommen war und noch immer deutlich unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen stand, brach Lydia zusammen. Es war Samstag, sie nahm die Kinder und fuhr zu den Schwiegereltern.
Natürlich waren Eriks Eltern empört und drohten, die monatlichen Zahlungen einzustellen.
Lydia wollte sich scheiden lassen, und Eriks Eltern standen auf ihrer Seite. Schließlich hatte Erik sich falsch verhalten und seine Versprechen nicht eingehalten.
Was seine Mutter dachte und empfand, war Erik egal, sie hatte in den vielen Jahren der psychischen Tyrannei und Lieblosigkeit seine Zuneigung zu ihr völlig zerstört. Wie oft hatte sie ihn gekränkt und vor Lehrern, Nachbarn, Verwandten und Bekannten bloßgestellt. Er empfand rein
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